Vollmeisen
Schützenverein?«, fragte er mich, jetzt eindeutig unhöflich.
»Die Damen vom Schützenverein«, korrigierte ich, »genau die.«
»Haben Hausverbot«, gab er aufgebracht zurück und wandte sich ab.
»Halt, warten Sie«, rief ich ihm hinterher. »Was ist denn passiert? Und wo sind sie jetzt?«
»Was passiert ist, wollen Sie wissen?«, schnauzte er mich an. »Ja, was wollen Sie denn da speziell wissen? Vielleicht, dass eine von Ihren âºDamenâ¹ uns mitten in den Container mit dem fangfrischen Fisch gekotzt hat? Oder dass zwei andere in Streit geraten sind und sich mit dem Kabeljau beschmissen haben? Oder halt, warten Sie, vielleicht meinten Sie ja auch diejenige, die mit dem Gabelstapler eine Runde Ballett tanzen wollte und dabei, natürlich ganz aus Versehen, unser Produktionsband aufgeschlitzt hat?«
Ich bekam noch einen bösen Blick von ihm, dann verschwand er. Huch. Das war wohl nicht so gut gelaufen. Aber so kann es wohl kommen, wenn man immer nur in einem kleinen Dorf festsitzt und sonst nix hat. Und nun auch noch so etwas, die Ãrmsten waren sicher am Boden zerstört.
Allerdings, so richtig am Boden zerstört kamen sie mir nicht vor, als ich wieder drauÃen war. Im Gegenteil, ich fand eine kreischende, ausgelassene Bande, die mir fröhlich aus dem Bus zuwinkte. Als ich in den Bus stieg, stimmten sie gerade We are the champions an.
»Mensch, Alice, wo warst du denn? Der Günni hat eben gesagt, er gibt dir noch fünf Minuten, dann fährt er ohne dich los. Kannste doch nicht machen, gleich bei deiner ersten Fahrt mit uns soân Mist machen«, fing Anneliese mich gleich ab.
Ich sah sie sprachlos an, doch den Blick interpretierte sie wohl falsch.
»Na komm, guck nicht so traurig, ist ja noch mal alles gut gegangen, jetzt biste ja da. Wir hatten einen RiesenspaÃ, und nun fährt uns Günni in ein ganz tolles Restaurant, da kriegen wir Sauerbraten. Erstmal âne Grundlage für den Rückweg schaffen, was?«
Mittlerweile war ich wieder nüchtern genug, um das ganz tolle Restaurant als Autobahnraststätte zu erkennen, aber nachdem ich bei einem Trinkspiel mitmachen durfte, dessen Regeln ich nicht verstanden hatte, schmeckte auch mir der Sauerbraten.
Die Rückfahrt lieà sich eh nur mit viel Alkohol ertragen, denn die Damen, die sich den Kabeljau um die Ohren geschmissen hatten, dünsteten dessen Duft kräftig aus, und Anneliese neben mir war in einen komatösen Schlaf gefallen und schnarchte ohne Pause.
Nach gefühlten zehn Stunden hielt der Bus endlich wieder vor dem heimatlichen Schützenhaus, und zwanzig Damen strebten glücklich ihrem Heim entgegen. Nach einer Menge Rufen wie »War super, echt!« und »Freu mich schon jetzt aufs nächste Mal!« verschwanden alle in ihren Häusern. Ich wollte nur noch schlafen, schmiss meine nach Fisch stinkenden Klamotten einfach auf die Treppe und legte mich sofort ins Bett.
Aber mitten in der Nacht wachte ich von komischen Geräuschen unten aus dem Flur auf. O mein Gott â hatten sie mich doch gefunden? Oder war das nur ein ganz normaler Einbrecher? Ich umklammerte die Nachttischlampe und wollte mich gerade unter dem Bett verstecken, als die Schlafzimmertür geöffnet wurde. Mit voller Wucht warf ich die Lampe Richtung Tür und sprang gleichzeitig auf. Das heiÃt, ich wollte springen, aber in irgendetwas hatte ich mich verheddert, und so landete ich auf dem FuÃboden.
»He, Alice«, hörte ich eine bekannte Stimme, die sehr amüsiert klang. »Bevor du das nächste Mal mit einer Nachttischlampe um dich wirfst, solltest du den Stecker herausziehen.«
»Nick! Du hast mich zu Tode erschreckt! Was machst du denn hier mitten in der Nacht?«
» Ich habe dich erschreckt? Was meinst du, was wir uns für Sorgen gemacht haben, nachdem wir dich den ganzen Tag nicht erreichen konnten! Und auÃerdem würde ich acht Uhr abends nicht unbedingt als Nacht bezeichnen.«
»Oh«, gab ich zurück, »irgendwie ist mein Zeitgefühl hier drauÃen wohl durcheinandergekommen. Egal, ich wusste nicht, dass ich eure Erlaubnis brauche, wenn ich die Zeit hier nutze, um mich kulturell weiterzuentwickeln. Ist doch kein Grund, hier so herumzuschleichen.« Vorsichtig wickelte ich mich aus dem Lampenkabel und setzte mich aufs Bett.
Nick grinste schon wieder. »Tut mir leid, SüÃe, ich wollte dich nicht erschrecken.
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