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Vollmeisen

Vollmeisen

Titel: Vollmeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klein Kerstin
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weil wir ihn durchschaut haben, dass er uns bei einem Fluchtversuch doch noch erschießt. Das müssen wir jetzt mal ganz genau planen.«
    Â»Ich hab’s«, freute sich Melinda. »Wir lassen ihn in dem Glauben, dass wir nichts kapiert hätten. Ich meine, ewig kann der hier doch nicht rumhängen, Kokain verkauft sich ja schließlich nicht von allein. Wir spielen ein paar Tage mit, das halten wir schon noch aus. Und wir tun richtig eingeschüchtert und fangen manchmal an zu weinen. Und sobald er dann mal das Haus verlässt, sind wir auch weg.«
    Â»Das ist richtig gut«, lobte ich sie. »Aber wir können hier nicht einfach rausmarschieren, auch wenn er weg ist. Was ist mit dieser einen Pflegerin, die hier manchmal herumläuft? Und seine Cousine, diese Schwester Marita, was ist mit der? Wer weiß, vielleicht steckt die mit ihm unter einer Decke.«
    Ich dachte eine Weile nach. »Also, ich wüsste da vielleicht etwas«, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf, »aber es ist schon ein bisschen eklig. Mittags, wenn die Alten essen, kommt doch der Wagen von der Wäscherei. Und der Fahrer ist heute mit der Pflegerin eine rauchen gegangen. Vielleicht machen sie das jeden Tag so. Wir könnten uns dann in saubere Laken einwickeln und uns zwischen die Wäsche legen.«
    Â»Der Wäschereiwagen. Ein Klassiker«, stimmte Melinda zu. »So machen wir das. Die Olle hat sich eben nach dem Mittagessen auch hingelegt, die dürfte also erstmal nicht merken, dass wir weg sind. Wir fahren per Anhalter nach Hause und vergewissern uns, dass Mama keine Geisel ist. Dann können wir deinen Nick anrufen.«
    Meinen Nick. Das gefiel mir.
    Endlich mal ein wirklich guter Plan. Und genau so machten wir es. Wir spielten ein paar Tage lang die eingeschüchterten, folgsamen Geiseln, standen in aller Herrgottsfrühe auf, bereiteten die Mahlzeiten zu und putzten, als würden wir für eine Weltmeisterschaft üben. Dabei beobachteten wir unsere Umgebung ganz genau und stellten schnell fest, dass die Gewohnheiten, die uns schon am ersten Tag aufgefallen waren, sich tatsächlich täglich wiederholten. Und immer, wenn uns Vincent über den Weg lief, fuhren wir vor Angst zusammen und bettelten ihn an, unsere arme Mutter zu verschonen. Das schien ihn zu überzeugen.
    Nach drei Tagen kam er morgens in die Küche und machte ein ganz besonders böses Gesicht.
    Â»So, ihr beiden, ich muss einen Tag wegfahren. Wenn ihr das ausnutzt und hier schludert, dann erfahre ich das. Und dann wird es schlecht gehen eurer Mutter, wollt ihr das?«
    Ich war dran, also schlang ich die Arme um mich und winselte: »O nein, nicht unsere Mutter, nicht unsere arme Mutter! Wir werden nicht schludern, ganz bestimmt nicht. Wir kochen und machen alles ganz sauber!«
    Er warf uns noch einen grimmigen Blick zu und verschwand tatsächlich.
    Â»So«, sagte ich zu Melinda, »beim Mittagessen geht es los.«
    Pünktlich wie immer fuhr der Wäschereiwagen vor. Manchmal sind deutsche Tugenden wirklich praktisch. Der Fahrer lud bündelweise dreckige Wäsche in seinen Lieferwagen und ging dann zur Pflegerin auf die Terrasse.
    Â»Jetzt oder nie«, raunte ich Melinda zu, und wir rannten zu dem Wagen. Ich reichte ihr eines der sauberen Gummilaken, die wir gleich nach Vincents Abgang in der Küche deponiert hatten. Nach dem Öffnen der Ladeklappe stieg uns ein widerlicher Geruch von Urin und noch Schlimmerem in die Nase. Melinda blieb stehen.
    Â»Komm jetzt«, bat ich sie, »ich weiß, das ist super eklig. Aber entweder wir ertragen das jetzt, oder wir werden bis an unser Lebensende Bäder schrubben und Großküchenessen kochen dürfen.«
    Das Argument überzeugte sie. Wir wickelten uns in die Gummilaken und legten uns in die stinkende Wäsche. Nach wenigen Minuten startete der Wagen. Auf ging’s in die Freiheit!
    Der Wagen fuhr und fuhr, aber immer, wenn eine von uns vorsichtig den Kopf hob und durch das kleine Seitenfenster guckte, sahen wir nur Wald und Felder. Nach ungefähr einer halben Stunde nahm der Straßenlärm zu, wir waren auf einer Art Zubringerstraße.
    Â»An der nächsten roten Ampel springen wir raus«, informierte ich meine Schwester. »Das machen wir ganz natürlich, als ob wir jeden Tag da aussteigen würden, dann findet das niemand, der uns sieht, komisch.«
    Wir wickelten uns aus unseren Laken und kauerten uns vor die

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