Vollmondfieber: Roman (German Edition)
der angeheuert worden ist, um uns auszuspionieren, vielleicht sogar, um uns zu entführen. Wir gehen keinen Schritt weiter in diese Richtung. Hörst du? In ihrer ganzen Ekstase hörte sie mir nicht zu.
Ich beließ es dabei.
Wir kletterten steil bergauf. Unsere nassen Kleider und Schuhe trockneten in der Hitze ziemlich schnell – glücklicherweise. Rourke hatte die Führung übernommen und sich bisher nicht ein einziges Mal umgesehen. Ich hatte keine Ahnung, ob das ritterlich gemeint war oder ob er nur möglichst schnell einen sichereren Ort erreichen wollte. Nach ein paar Stunden beschleunigte ich meine Kletterei und verkürzte den Abstand zu ihm.
Der Schwefel hatte bestimmt geholfen, uns für eine Weile zu tarnen. Aber als der Geruch allmählich verflog, nahm ich deutlich den schweren Nelken-Moschus-Duft wahr, der Rourke aus jeder Pore kam.
Unser Geruch gehörte zu uns. Er ließ sich nicht einfach abschalten.
Die Wölfe aber hatten ihn längst abgespeichert und konnten ihn aufspüren. Das war nur eine Frage der Zeit. Wir hatten höchstens einen Tag.
Unter einem großen Baum hielt Rourke inne. Ich holte zu ihm auf. Als ich stehen blieb, grollte mein Magen, als würden in meinen Innereien Felsen pulverisiert. Rourke zog eine Braue hoch.
Ich zuckte mit den Schultern. »Was? Ich bin hungrig.« Wieder grollte es. »Streich das: Ich könnte ein ganzes Restaurant verschlingen!«
»Wir sind beinahe da, und in der Hütte gibt es etwas zu essen.« Er ging weiter. »Nach meiner ersten Wandlung war ich ein ganzes Jahr lang unersättlich.« Ein leises Schnurren lag in seiner Stimme. »In mehr als einer Hinsicht.«
Ich war ihm gefolgt und fing mich gerade noch rechtzeitig, um nicht im Sturzflug zu Boden zu gehen. »Ich darf mich also darauf freuen, dass dieser Zustand ein ganzes Jahr dauert?«
»So ungefähr.«
»Weißt du …«, erklärte ich, »… das ist kein normaler Hunger. Es ist eher so, als würde ich versuchen, etwas anderes zu füttern – etwas, das viel mehr will, als ich ihm geben kann. Nahrung sättigt es nicht. Das ist wie eine riesige Leere, die anscheinend nichts füllen kann.«
»Du gierst nach frischem Blut.«
Ich blieb wie angewurzelt stehen. »Was meinst du mit ›frischem Blut‹? Ich werde niemanden umbringen, nur um meinen nervösen Magen zu beruhigen. Das wird nicht passieren, niemals!«
»Nein, ich meine, du musst auf die Jagd gehen.« Rourke wurde langsamer und drehte sich zu mir um. »Du weißt schon: Kaninchen, Eichhörnchen. Die Jagd ist das, wonach dein Körper verlangt, und frische Beute wird den wahren Hunger zurücktreiben. Dein Körper giert nach Blut.« Er zwinkerte mir zu und hob dieHand. Als ich nicht reagierte, sagte er: »Du weißt gar nicht, wovon ich rede, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe erst eine Wandlung erlebt … und, na ja, sagen wir, es ist nicht besonders gut gelaufen. Ich bin nicht mal ganz sicher, ob ich überhaupt in der Lage bin, mich noch einmal erfolgreich zu wandeln … äh … ohne Unterstützung. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, einen Werwolf-für-Anfänger-Kurs zu belegen. Wenn lange genug darauf verzichtet wird, mich umbringen zu wollen, kann ich ja vielleicht ein paar Lektionen dazwischenquetschen. Aber bisher weiß ich das, was ich mein Leben lang als Außenstehende beobachtet habe, und mehr nicht.«
Rourke wandte sich wieder ab und ging weiter den felsigen Hang hinauf, und ich folgte ihm. »Vielleicht kannst du dich wandeln, wenn wir in der Hütte sind«, sagte er. »Ich bin zwar gewiss kein Wolf, aber ich bin schon seit mehr Jahren, als ich zählen kann, ein Wandler. Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Vielleicht.« Eine Wandlung erfolgreich abzuschließen, könnte mein Ticket zurück zu meinem Rudel sein. Als Wölfin wäre es für mich ein Leichtes, schnell einen anderen Weg hinaus aus diesen Bergen zu finden. »Aber nur dass du es weißt: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ich dich anstelle des Kaninchens verspeise, wenn ich mich wandle. Ich habe keine allzu große Kontrolle darüber, und ich kann dir nicht versprechen, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft.«
»Das ist genau das, worauf ich mich verlasse!«
Er lachte den ganzen Weg bis zur nächsten Lichtung.
Die Hütte war einfach. Und wunderschön. Die gealterten Baumstämme, aus denen das kleine Häuschen errichtet worden war, waren verwittert und so grau wie die Asche von Holzkohle. Das Metalldach hatte eine hübsche braune Patina, und ein
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