Vollmondfieber: Roman (German Edition)
Erkenntnis kippte die emotionale Waagschale zugunsten meiner Wölfin, und ein Lächeln huschte über mein Gesicht, ehe ich in der Lage war, es aufzuhalten. Ohne recht zu wissen, was ich tat, hob ich den Kopf, die Augen auf Halbmast, und ließ mich von der Ekstase meiner neuen Wölfin überfluten.
Ihre Kraft war wie eine Droge. Und sie gefiel mir.
Meine Augen nagelten Hanks Scheißefresser-Grinsen mit bösem Blick fest. Als ihm das höhnische Grienen aus dem Gesicht fiel, jagte das einen neuen Adrenalinstoß durch meine Adern. Die Wirkung traf mich mit solcher Wucht, dass meine Finger förmlich unter dem Gefühl explodierten. In gerade genug Zeit für einen einzigen Atemzug wuchsen meine Nägel, bildeten spitze Klauen aus. Für einen Wolf bedeutete das Halten von Augenkontakt eine ultimative Herausforderung.
Und ich wandte den Blick nicht ab.
Etwas tief in meinem Hinterkopf nagte an mir, und in der Stimme meines Bruders lag etwas wie Panik. He, gaaaaanz ruhig! Es gibt keinen Grund, jetzt auf Konfrontation zu gehen. Lass den Scheiß, dräng’s zurück, sofort! Hörst du, was ich dir sage? Du bist bereits zu weit gegangen. Du dürftest gar kein reinrassiger Wolf sein, weißt du noch? Du musst aufhören!
Sagt wer? , lallte ich mehr, als dass ich sprach.
Hank hielt meinem Blick trotzig stand, und seine Augen blitzten bernsteinfarben. Einen halben Herzschlag später leuchteten sie strahlend gelb.
Mein Bruder rempelte mich an. Hör auf damit! Senk den Blick, lass den Arsch in Ruhe! Du dürftest gar kein Wolf sein! Das ist typisches Dominanzverhalten, und wenn Hank dich da reinzieht, kannst du deiner Freiheit Adieu sagen. Senk deinen Blick, verdammt! Tu so, als wäre das nur ein Versehen! Als hättest du keine Ahnung, was du tust.
Ich riss meinen Blick von Hank los.
Meine Wölfin heulte in meinem Verstand auf, und ich zitterte, so stark war das Bedürfnis, diesen Kampf zu Ende zu bringen. Aber ich hatte keine Wahl, ich musste es lassen. Tyler hatte recht. Würde ich jetzt kämpfen, so wäre das, als legte ich meinen Royal Flush schon auf den Tisch, ehe meine Mitspieler ihren Einsatz gebracht hätten.
Ich trat noch einen Schritt zurück und gab mir alle Mühe, harmlos und sanft dreinzublicken. Ich hielt den Blick abgewandt,ließ ihn nur kurz über Hanks blasiertes Lächeln und weiter zu Stuart, Hanks Sohn, wandern. Stuart wirkte dank meines plötzlichen Rückziehers eindeutig schadenfroh. Den Augenkontakt abzubrechen, bedeutete, Schwäche zu zeigen. Das aber ging mir unglaublich gegen den Strich.
Meine Wölfin knurrte in mir.
Nicht hier , tadelte ich sie. Wir können nicht kämpfen. Es war total irre, aber ich konnte sie deutlich in mir wahrnehmen, getrennt von mir und doch ich.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Hank die Arme vor der Brust verschränkte und in rasch aufeinanderfolgenden Wellen Gefahr verströmte.
Was jetzt? , fragte ich meinen Bruder. Meine Finger zuckten. Denn noch immer hing der Odem der Herausforderung in der Luft. Es war wie ein Geruch mit einem scharfen Beigeschmack, wie etwas Bitteres, vermengt mit Rauch. Meine Nägel schrumpften wieder auf ihre normale Größe. Meine Wölfin hielt sich zurück, aber um Haaresbreite wär’s passiert. Sie war angespannt, sprungbereit und noch immer begierig, es auszufechten.
»Wir sehen uns noch, Miststück!«, sagte Hank, machte abrupt auf dem Absatz kehrt und ging den Hang hinauf. Stuart folgte ihm wie ein Welpe.
Gut gemacht, Jess! Tyler seufzte es. Erstklassige Arbeit! Die Einheimischen aufgewiegelt, wie wir es gerade eben nicht tun wollten! Gott allein weiß, was die jetzt glauben. Hank wird sicher denken, dass du ein Wolf bist. Aber wenigstens hält er dich für schwach.
Frustriert stieß ich die Luft aus, immer noch damit beschäftigt, meine Wölfin zu besänftigen. Ich weiß. Ich habe es total vermasselt. Verdammt. Ich hab’s einfach nicht in den Griff bekommen. Dieses verrückte Gefühl ist aus dem Nichts über mich hereingebrochen. Und dann waren da all diese Gerüche, und das war so verwirrend. Ich wollte kämpfen. Ich habe all meine Kraft aufbringen müssen, um meine Wölfin zu zügeln. Ich bin nicht sicher, ob ich das beim nächsten M al wieder schaffe. Der Gedanke, dass ich etwas in mir hatte, das ich nicht zu beherrschen wusste, eine Art von entsicherter Waffe, die jeden Moment losgehen konnte, machte mich nervös. Ich hoffte inständig, das mein Vater keinen Fehler begangen hatte, als er mich nicht am Bett festgekettet hatte.
Tja,
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