Vollmondfieber: Roman (German Edition)
einzubeulen. Der Stahlrahmen ist verzogen.«
»Hmm. Ich habe gar nichts von einem kaputten Auto gehört«, sagte ich scheinbar geistesabwesend, während ich wie beiläufig das Geländer auf Klauenspuren untersuchte. Eigentlich hätte es welche geben müssen, was der Idee, ein Tier wäre aus eigenem Antrieb von hier gesprungen, Nahrung hätte geben können. Aber da waren keine. Marcy hatte den Balkon vollständig gesäubert.
»Wir haben auch Spuren von Enterhaken und einem Seil entdeckt. Aber nicht ein Mensch im ganzen Gebäude hat gesehen, wie jemand an der Fassade rauf oder runter ist. Ziemlich seltsam, meinst du nicht?«
»Ja, seltsam.« Ich machte kehrt und ging zurück in meine Wohnung, wobei ich einem großen Haufen zerbrochener Gegenstände ausweichen musste. »Das ist mir ein Rätsel. Man sollte doch annehmen, dass zumindest ein Hausbewohner hätte sehen müssen, wie jemand die drei Stockwerke überwindet.«
»Und dann wäre da auch noch die Frage, wie zum Teufel die ihr Viech hier hereinbekommen haben, wenn sie an einem verdammten Seil raufgeklettert sind. Das wäre ja mal eine echt tolle Zirkusnummer, wenn du mich fragst.«
»Vielleicht waren sie zu zweit. Einer ist raufgeklettert und hat die Tür für den wartenden Hundehalter geöffnet«, schlug ich in eifrig interessiertem Ton vor. Es sprach nichts dagegen, wenn ich mich wie ein guter Privatdetektiv mit dem mutmaßlichen Szenario befasste. Denn daran, dass ein Tier in meiner Wohnung gewesen war, konnte kein Zweifel bestehen. Ich hatte keine Ahnung, welche Resultate die Laboruntersuchung der Tierhaarproben zeitigen würde. Aber ich hoffte auf »unbekannte Spezies«. Sollten sie als Wolfshaar identifiziert werden, wäre das absolut fürchterlich. Es würde mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Die Menschenpolizei käme in einer Million Jahren nicht auf einen Werwolf. Dennoch war es das Beste, keine unnötigen Fragen zu provozieren.
»So ein Krach«, sagte Ray und deutete auf die zerschmetterte Glasschiebetür, »muss eigentlich in kürzester Zeit Nachbarn anlocken. Da bleibt kaum Gelegenheit, die Tür für einen Komplizen zu öffnen und dann noch alles derart zu verwüsten.«
Wortlos ging ich in mein Schlafzimmer. Unterwegs kam ich an der kleinen Küche auf der linken Seite vorbei, dem einzigen Raum, den meine Wölfin nicht betreten hatte. Dieser kleine Raum war verschont worden, weil meine Wölfin es zu eilig gehabt hatte, aus der Wohnung zu kommen, um ihm irgendwelche Aufmerksamkeit zu widmen. Ich liebte meine Küche. Sie war sauber und weiß, hatte schwarze Granit-Arbeitsflächen und war mit Geräten aus Edelstahl ausgestattet. Es gab eine Essecke, die in mein Wohnzimmer hineinragte, zu der eine weitere Arbeitsfläche gehörte, die das Ganze größer erscheinen ließ.
Im Korridor stieg ich über die Überreste eines Tisches hinweg. All die Nippessachen, die früher auf ihm gestanden hatten, waren in Scherben gegangen. Dann manövrierte ich um einige größere Trümmerstücke herum und näherte mich dem Schlafzimmer, dessen Tür geschlossen war.
Ich hielt die Luft an und drehte den Knauf.
Ray lauerte hinter mir und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, meine Reaktionen zu verfolgen.
Die Polizei hatte auch hier einige Zeit verbracht. Fingerabdruckpuder bildete Flecken auf meiner Kommode und allen Schubladengriffen. Die Polizei hatte Beweise dafür gesucht, dass es sich hier um ein Verbrechen mit einem persönlichen Hintergrund handelte. Davon abgesehen sah mein Schlafzimmer unbeschadet aus.
Ich ging zu meiner Kommode und zog eine Schublade auf,wohl wissend, dass Ray jeden meiner Handgriffe aufmerksam verfolgte. Ich musterte den Inhalt, griff hinein und nahm ein Kleidungsstück heraus, um es einer sorgfältigen Untersuchung zu unterziehen. Dann schloss ich die Schublade und öffnete mein jämmerliches Schmuckkästchen, das auf der Kommode stand. Ich hatte mit Schmuck nicht viel im Sinn. Ich kontrollierte den Inhalt mit einem kurzen Blick. Genau damit musste Ray rechnen.
»Wir konnten hier drin keine Schäden feststellen. Das Zimmer scheint sauber zu sein.« Ray schaute mir über die Schulter, als ich das Kästchen schloss. »Vermisst du Schmuck?«
»Nein.«
»Was wir nicht verstehen ist, warum sie nicht zuerst hierhergekommen sind. Bei derartigen Verbrechen sind die persönlichen Räume immer zuerst dran. Das ist so, als würde man dem Opfer einen Schlag ins Gesicht versetzen. Wenn sie dich wirklich treffen wollten, hätten sie hier mit
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