Vollmondfieber: Roman (German Edition)
mich.«
Ich drehte mich um und sah James, umrahmt vom Durchgang zu meiner Küche. Er sah aus, als wäre er geradewegs einem Kalenderblatt entsprungen.
Und er war von der Taille aufwärts nackt.
Wassertropfen perlten noch vom Duschen über seine Brust. Sein Haar hatte er mit den Fingern glatt nach hinten gestrichen, vermutlich, so nahm ich an, weil Bürsten nur was für Memmen ist. Immerhin hatte er, was wahrscheinlich von Vorteil war, seineHose gefunden. Mir war so gar nicht danach, herbeieilenden Polizisten zu erklären, warum Ray einen Herzanfall erlitten hatte, wenn sie dann kämen, um ihn aus meiner Wohnung zu holen.
James lehnte seinen halb nackten, nassen Leib an die Durchgangslaibung, verschränkte wie beiläufig die Arme vor der Brust und ließ seinen Bizeps spielen. Ein vages Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Er genoss die Situation sichtlich.
Aber mich konnte er nicht einen Augenblick hinters Licht führen.
Die winzigen Härchen an Nacken und Armen standen stramm, als sich unsere Blicke begegneten. James war von Kopf bis Fuß todbringendes Raubtier, und das, so fürchtete ich, würde Ray in ungefähr einer halben Sekunde ebenfalls wissen. James machte keine halben Sachen. Er war ganz der pflichtbewusste Beschützer.
Unwillkürlich war Ray einen Schritt in mein Wohnzimmer zurückgewichen, als er James gesehen hatte. Ich wette, das war ihm gar nicht bewusst. Aber das war eine normale Reaktion. Menschen wollten instinktiv weg. Rays Mund öffnete sich einige Male, aber es kam nichts heraus.
»Ich kann Ihnen versichern, ich bin nicht vorgegaukelt«, fuhr James im Plauderton fort, als wäre alles in bester Ordnung. »Sie wissen doch sicher, wie das ist, wenn man mit der neuen Flamme mal für ein paar Nächte verschwinden möchte. All die sorgfältige Planung ist dann umsonst. Meinst du nicht auch, Schatz?« Er bedachte mich mit einem sündhaften Grinsen.
»Allerdings … Liebling. Verstehst du, Ray, wir haben einfach mal für den Augenblick gelebt.«
James’ Blick ruhte auf mir, als ich sprach, und an meinen Armen bildete sich sofort eine Gänsehaut. »Und das war verdammt kein übler Augenblick, was?«, grunzte James.
Ray schüttelte sich. Eine Hand schoss hoch, etwa in Brusthöhe, zweifellos weil es ihn nach der Waffe juckte. Die verbarg er,wie ich wusste, unter dem schlecht sitzenden Sakko, das er heute trug. Ich witterte eine Spur Überraschung, die von ihm ausging, gepaart mit einer ordentlich großen Dosis Enttäuschung.
James wartete nicht auf Rays Reaktion. Stattdessen trat er gemächlich in meine Küche und blieb unmittelbar hinter mir stehen. Er griff über mich hinweg, seine Arme streiften meine Schultern. Er nahm sich einen Kaffeebecher und küsste mich auf den Scheitel, ehe er sich umdrehte und sich eine Tasse Kaffee einschenkte.
Als er fertig war, lehnte er sich mit den Hüften an den Küchentresen und nahm gemächlich einen ersten Schluck. Er spielte nicht fair. »Ich entschuldige mich bei Ihnen, dass wir keine Gelegenheit hatten, uns früher zu unterhalten, Detective. Detective ist doch richtig, oder? Wir waren ein bisschen mit dem Versuch beschäftigt, hier aufzuräumen nach diesem schrecklichen Einbruch.« Nun nahm er einen tiefen Schluck. »Dabei fällt mir ein: Haben Sie schon irgendwelche Spuren? Irgendwas, das Sie uns erzählen können? Für Molly wäre es so beruhigend, wenn sie wüsste, wie sich der Fall entwickelt.«
Ray musste um seine Beherrschung kämpfen. Dennoch sah ich ihm an, dass er nicht so einfach aufgeben würde. Er drückte die Schultern durch und trat einen halben Schritt vor. Allein schon für diesen Versuch hatte er Respekt verdient. Er räusperte sich. »Tja, es gibt Sie wohl wirklich. Und? Das ändert gar nichts! Das erklärt nichts von all dem, was hier passiert ist.« Mit einem Nicken deutete er auf mein leer geräumtes Wohnzimmer, das mit tiefen Schrammen in den Dielen und kaputten Wänden aufwartete.
»Nein, das tut es nicht«, bekräftigte James. »Aber wenn ich nicht irre, ist das doch Ihre Aufgabe, Detective: herauszufinden, was genau hier passiert ist und warum. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber so wie ich es verstehe, wird das Opfer üblicherweise nicht von dem ermittelnden Beamten schikaniert. Ihre Aufgabe ist es, Hinweise zu sammeln und die Täter zur Strecke zu bringen. Meinen Sie wirklich, Molly würde ihre eigene Wohnung derart zerlegen?« Stählerne Härte machte sich in James’ Ton bemerkbar. »Ich glaube überdies
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