Vollmondfieber: Roman (German Edition)
nicht, dass formelle Anzeigen vorliegen. Wenn ich recht informiert bin, hat es hier keinen Diebstahl gegeben, kein ernstes Verbrechen, nur ein bisschen unerfreulichen Vandalismus.«
Ein Schweißtropfen bahnte sich gleich neben dem Haaransatz einen Weg über Rays Schläfe. In den Genuss der vollen Aufmerksamkeit eines Werwolfs zu kommen, forderte Tribut. »Es ist egal, ob sie Anzeige erstattet oder nicht«, spie Ray mit einiger Mühe zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das ist mein Fall, bis er abgeschlossen ist! Und du, Hannon, hast mir immer noch keine vernünftige Erklärung für die illegale Mixtur in deinem Badezimmer geliefert! Es ist höchst verdächtig, wenn irgendwo ein Einbruch stattfindet und das Opfer rein zufällig im Badezimmerschrank Drogen hortet!«
James ergriff meine Hand und zog mich an sich. Sein irischer Akzent gurrte gleich über meinem Ohr, als er sich vorbeugte. »Hast du denn Detective Hart nicht von deinem Gesundheitszustand erzählt, mein Täubchen?« Er tätschelte meinen Nacken. »Einen großen Prozentsatz der Bevölkerung plagen Anfälle dieser Art, das hat der Doktor doch gesagt. Dafür musst du dich nicht schämen.« Nun wandte er sich wieder an Ray. »Hat das Labor tatsächlich irgendwas von dem albernen Gerede über Pferdebetäubungsmittel bestätigt? Oder wollen Sie uns nur auf die Nerven gehen, statt daran zu arbeiten, das Verbrechen aufzuklären, das sich wirklich hier ereignet hat?«
Ray besaß immerhin den Anstand, zumindest ein kleines bisschen beschämt dreinzuschauen. »Äh … nein, eigentlich gibt es noch keine Bestätigung. Aber ausgeschlossen wurde es auch nicht. Wie es scheint, ist die Zusammensetzung der Substanz … na ja, sagen wir, höchst ungewöhnlich .« Er setzte ein spöttischesGrinsen auf. »Und das passt nur zu gut zu diesem ausgesprochen seltsamen Fall und zu Han… Molly selbst. Die Wahrheit kommt schon noch ans Licht!« Er wankte ein bisschen. Diese kleine Ansprache hatte alle Courage gefordert, die er zu bieten hatte. Dann machte er kehrt und stürzte abrupt in Richtung Wohnungstür.
Er hatte länger durchgehalten als die meisten Menschen, die ich je in so einer Lage erlebt habe. Ich hätte nun Beschwerde wegen Belästigung gegen ihn einlegen können, und das war uns beiden klar. Er hatte nichts gegen mich in der Hand, und James hatte das gerade noch einmal unterstrichen.
Als Ray die Tür erreicht hatte, zeigte er anklagend mit dem Finger auf mich. »Wenn sie wirklich an mysteriösen sogenannten Anfällen leidet, was, da bin ich sicher, noch nie zuvor jemand auf Erden gehört hat, warum steht das dann nicht in ihrer Akte, hä? Sie war ein Cop. Ihre medizinischen Daten sind alle aktenkundig. Ihre Akte ist sauber. Den Papieren zufolge ist sie bei bester Gesundheit.«
»Ray«, sagte ich und trat in mein Wohnzimmer, »wenn du dir die Mühe gemacht hättest, nachzusehen, hättest du festgestellt, dass die Unterlagen zu meinem sehr realen Anfallsleiden bereits von meinem Arzt ans Revier gefaxt worden sind. Ich bin erst im letzten Jahr daran erkrankt. Steht da auch. Ich schätze, ich war ein Spätentwickler.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und achtete darauf, dass mein Morgenrock nicht aufklaffte. Ich wollte mich jetzt nicht noch vor Ray entblößen. »Hast du jetzt genug neue Infos, damit wir dich für heute los sind, ja, Ray? Wär schön, denn ich würde jetzt gern unter die Dusche springen und meinen normalen Alltag einläuten.«
James folgte mir mit einem Becher Kaffee in Händen.
Ray war noch einen Zentimeter davon entfernt, zur Tür hinaus zu verschwinden. »Ihr zwei macht mir keine Angst. Mich könnt ihr nicht einschüchtern. Ihr bringt mich nicht ins Schwitzen.«Oh, ganz im Gegenteil, Ray! »Ich vertraue meinem Instinkt. Unddamit habe ich während meiner ganzen Karriere, während der ganzen achtzehn Jahre, immer goldrichtig gelegen. Da steckt mehr dahinter, Hannon! Seit du Milo Curtis geschnappt hast, weiß ich, dass irgendwas nicht stimmt. Wenn du in der Nähe bist, passieren seltsame Dinge, und du tust Dinge, die normale Menschen nicht können sollten! Du bist so was wie ein gedopter Zirkusartist. Aber du kannst dich nicht ewig verstecken. Irgendwann baust du richtig große Scheiße, und dann werde ich da sein.« Er machte kehrt und stolperte zur Tür hinaus.
James reichte mir seine Tasse, damit er die Tür wieder einsetzen konnte.
»Ach, darum geht’s!«, rief ich entgeistert, während James die Tür mühelos wieder an
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