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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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eintausendzweihundert Jahren,
    sobald Vollmond und Wintersonnenwende sich einander nähern,
    wird es geschehen,
    daß die Zukunft sich an die Vergangenheit erinnert und
    ein Jüngling ans Tageslicht tritt,
     der in seinem neunzehnten Lebensjahr
    um Punkt Mitternacht
    vor dem Antlitz des vollen Mondes
    zwölf jungfräuliche Mädchen küsst,
    um die Blutschande seiner Anverwandten reinzuwaschen
    und hernach für immer von den Untoten aufzuerstehen...
     
    Im Nachhinein hätte Jolin nicht sagen können, wie lange sie unter dem Busch bei der Eiche gehockt und auf die Botschaft gestarrt hatte. Zuerst begriff sie gar nichts, und dann, als die Worte allmählich in ihre Gehirnzellen eindrangen und sich zu einem Sinn formten, wollte sie nicht mehr begreifen. Am Ende brannte nur noch eine einzige Frage in ihrem Herzen, die von maßloser Enttäuschung und Entsetzen begleitet war: »Warum, zum Teufel, hast du mir das angetan, Harro Greims?« So als ob sie in diesem Moment noch alles ungeschehen machen könnte, grub sie das Bild mitsamt dem Rahmen wieder ein. »Ich verfluche dich, du törichter alter Mann!«, stieß sie hervor, während sie den Boden festklopfte. »Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet!«
    Erschöpft von ihrer Wut kroch sie unter dem Busch hervor, klopfte sich die lose Erde aus den Kleidern und schleppte sich an der Pfahlmauer entlang in Richtung Stadt. Jolin lief über zwei Stunden bis zum Hauptbahnhof. Erst dort merkte sie, wie kraftlos sie tatsächlich war, und stieg in den Bus nach Heimersdorf. Um kurz nach zwölf stand sie vor ihrer Haustür.
    Jolin legte ihren Kopf in den Nacken und ließ ihren Blick Fenster für Fenster, Stockwerk für Stockwerk hinaufwandern. Und?, dachte sie. Wartest du schon auf mich, Rouben? Wie willst du mich dazu überreden, dass ich noch einmal den Lockvogel spiele, so wie auf Klarisses Party, he? Du weißt genau, dass ich nicht freiwillig dorthin komme. Du wirst schon einen Vampir aus mir machen müssen. Versucht hast du es schließlich mehr als nur einmal. Wenn dir deine Mutter nicht dazwischengekommen wäre, wäre es dir sicher gelungen. Sie hat mich beschützt. Ja, das hat sie getan. Warum auch immer.
    Jolin zog den Schlüssel aus dem Seitenfach ihrer Tasche und öffnete die Haustür. Langsam stieg sie in den vierten Stock hinauf. Sie spürte keine Kälte, niemand drang in ihre Gedanken ein oder versuchte sie zu berühren. Vollkommen unbehelligt kam sie in ihrer Wohnung an.
    Paula Johansson war nicht zu Hause. In der Küche fand Jolin einen Zettel, auf dem ihre Mutter ihr mitteilte, dass sie unvorhergesehen ins Studio gerufen worden sei.
     
     
    Ich glaube, so langsam wird’s ernst.
    Drück mir die Daumen!!!
    HDL, Paula
     
    P.S.: Wenn Du Hunger hast, mach dir ein Brot, okay?
    Ich bringe nachher was Richtiges aus dem Studio mit.
     
    »Ich hab dich auch lieb, Ma«, murmelte Jolin. Mit einem Mal standen ihr die Tränen in den Augen. Sie fühlte sich einsam und hilflos. Ein deftiger Eintopf oder ein feines ayurvedisches Gemüsegericht hätten ihr jetzt gutgetan. Beim Gedanken an eine Käseschnitte oder ein Salamibrot dagegen krampfte sich ihr der Magen zusammen. In diesem Moment und in der Stimmung, in der sie sich befand, konnte sie sich einfach nicht vorstellen, in einer stillen leeren Wohnung ein kaltes Stück Brot zu essen. Kurz entschlossen füllte Jolin den Wasserkocher und brühte sich eine Tasse Tee auf. Sie rührte einen Löffel Honig hinein und ging in ihr Zimmer. Dort drückte sie die Tür hinter sich zu, stellte die Teetasse auf ihren Schreibtisch und setzte sich davor.
    Der rote Umschlag mit Roubens Einladung lag noch immer dort. Jolin ergriff ihn und wollte ihn in den Papierkorb werfen, aber dann war die Neugier doch größer. Sie öffnete den Umschlag und zog eine schwarze Karte heraus. Auf ihr funkelten winzige Glitzerpunkte wie Millionen von Sternen am Nachthimmel. Jolins Augen brannten wie Feuer. Sie konnte die Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Schluchzend sank sie über dem Schreibtisch zusammen und ließ ihrem Schmerz freien Lauf. Die Angst und der Schrecken der letzten Wochen und Tage schmolzen dahin. Übrig blieb am Ende nur noch die Trauer um Harro Greims und die Verzweiflung darüber, sich in den Falschen verliebt zu haben. Jetzt hatte sie schon so lange auf den Richtigen gewartet, um dann ausgerechnet auf Rouben Varescu hereinzufallen! Als ob er ihre Affinität zur Dunkelheit und Kälte der Nacht gespürt hätte! Durch seine geheimnisvolle Aura

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