Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
drehte sich aber noch kurz um und ergänzte: »Sie sind jedenfalls in der Lage, Besuch zu empfangen. Vor Ihrem Zimmer warten zwei Damen schon sehr ungeduldig darauf, mit Ihnen sprechen zu dürfen. Da können Sie bestimmt all Ihre Fragen loswerden.« Und etwas spitz fügte sie noch hinzu: »Ich will ja nicht, dass einer meiner Patienten an Herzdrücken eingeht.«
Die Tür blieb nicht lange verschlossen. Als sie sich wieder öffnete, sah Dr. Bretschneider, dass genau die zwei Frauen den Raum betraten, deren Erscheinen er nach der schnippischen Bemerkung der Ärztin befürchtete hatte. Er zog die Bettdecke bis zu seinem Hals und stellte sich leidend.
Karin zog einen Besucherstuhl an sein Bett und sagte zur Begrüßung: »Deine ›Armesündermiene‹ kannst du dir sparen, das zieht bei mir nicht. Also wie fühlst du dich, ich meine abgesehen von deinem schlechten Gewissen?«
Dr. Bretschneider überlegte kurz, ob es wohl Sinn machte, seine Beschwerden ein wenig zu übertreiben. Ein kleiner Bonus für Versehrte konnte in seiner Situation recht nützlich sein. Aber ein Blick in Karins nachtfarbene Augen genügte ihm. Sie anzuschwindeln wäre paradox, sie würde ihn auf jeden Fall durchschauen. Außerdem, dachte er, hatte Karin sich sicher ganz genau bei Frau Dr. Schaefer über sein Befinden erkundigt. Also sagte er die Wahrheit.
Karin lächelte, aber Dr. Bretschneider glaubte, in diesem Lächeln auch Unmut wahrzunehmen. Dann lehnte sie sich zurück und versuchte, es sich in dem unbequemen Stuhl so gemütlich wie möglich zu machen. »Also Mario, dann bin ich doch jetzt sehr gespannt, wie du deine Anwesenheit letzte Nacht in dieser lauschigen Villa erklären wirst.« Dr. Bretschneider wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da beugte sich Karin vor, stupste mit ihrem Zeigefinger mehrmals in seine Bettdecke und fuhr ihn an: »Was denkst du dir eigentlich? Du kannst doch nicht einfach Bulle spielen und mitten in eine Schießerei hineinspazieren.«
»Nun mach halblang!«, wurde sie von Sandra gebremst. »Wir haben uns schließlich in dieser Sache auch nicht so ganz nach Vorschrift verhalten.«
Dann setzte sie sich an das Fußende von Dr. Bretschneiders Bett, lächelte ihn aufmunternd an und sagte: »Sie dürfen Karins Ausbruch nicht ganz so ernst nehmen, sie hat sich sehr um Sie gesorgt und nun will sie hinter dieser schroffen Maske ihre Erleichterung verbergen.« Und spitzbübisch lächelnd fügte sie noch hinter vorgehaltener Hand hinzu: »Sie ist nämlich froh, dass Ihnen nichts Schlimmes passiert ist.«
Dr. Bretschneider schickte Sandra einen dankbaren Blick zu und sagte: »Bitte, wollen wir nicht dieses förmliche Sie lassen? Sag bitte Mario.«
»Das ist mir sehr recht«, meinte Sandra grienend. »Sollte ich einmal Grund haben, dich zusammenzustauchen, erleichtert es die Sache ungemein. Bleiben wir doch gleich bei diesem Thema. Also, warum hast du hinter Adina Mahler hergeschnüffelt?«
»Das habe ich zu Beginn gar nicht. Vordergründig war mein Ziel, den dritten Mann, also Aramis, zu finden.«
»Wahrscheinlich hat sich unser lieber Doktor einfach zu viele Serien im Fernsehen angeschaut. Es ist ja zurzeit ein richtiger Boom, Wissenschaftler, die mit den Behörden zusammenarbeiten, souverän Fälle lösen zu lassen«, warf Karin leicht entnervt ein.
»Nein, das war nicht der Grund,« rechtfertigte sich Dr. Bretschneider. »Vor drei Jahren, da war ich noch nicht einmal Doktor, bekam ich als ersten Fall, den ich selbstständig zu bearbeiten hatte, Sarah Leforts Leichnam auf den Tisch. Ich war damals völlig entsetzt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was eine junge und hübsche Frau dazu bewegen könnte, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Eine Krankheit konnte nicht der Grund gewesen sein.« Und mit entschuldigendem Lächeln fügte er hinzu: »Da war ich mir sicher, ich habe schließlich ihre Organe gesehen.«
»Komm zum Punkt«, drängte Karin und trommelte ungeduldig auf der Stuhlkante herum.
»Dränge mich nicht! Mit einem Satz kann ich es eben nicht erklären. Jedenfalls trat ich mit meinen Bedenken an meinen Chef heran. Aber der wiegelte ab, das sei Sache der Polizei und nicht unsere. Zu dieser Zeit hatte ich noch Achtung vor Gerichtsmedizinern, die älter als ich waren und in Amt und Würden standen.«
»Mehr Amt als Würden«, murmelte Karin, die sich noch sehr gut an Bretschneiders Vorgänger erinnern konnte. Sie hatte oft Probleme mit ihm, er verfügte zwar über jahrzehntelange Erfahrung, war
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