Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung

er gedankenversunken seine Nasenspitze und fuhr fort: »Der Gegenstand, der das Mordopfer im Nacken traf, war nicht geschliffen scharf, eher stumpf. Zu diesem Schluss kam ich, da an der Eintrittswunde Quetschungen sichtbar sind und die Haut nach innen gedrückt wurde. Bei einem scharfen Gegenstand, wie etwa einem dünnen scharfen Messer, wäre die Haut zerschnitten gewesen. Besagter Gegenstand wurde mit großer Kraft in den Nacken gestoßen, was nahe legt, dass eine entsprechende Vorrichtung zum Halten vorhanden war. Ich meine damit einen stabilen Griff. Ich konnte zusätzlich Eisenspäne in der Wunde lokalisieren. Ausgehend von diesen Merkmalen tippe ich auf einen großen Schraubendreher. Aber das ist natürlich nur mein Tipp, versteifen würde ich mich darauf nicht.«
    Dr. Bretschneider lümmelte während seiner Ausführungen bequem in seinem Stuhl. Karin wusste, dass Haupt das nicht mochte. Aber auch er konnte an Bretschneiders Arbeit keinen Kritikpunkt finden. Karin wusste, dass Dr. Bretschneider sehr von sich eingenommen war, aber sie wusste auch, dass er das mit Recht sein konnte. Für die Untersuchung eines Mordopfers benötigte Dr. Bretschneider nur die Hälfte der Zeit seines Vorgängers im Amt. Und seine Ergebnisse waren nicht nur zutreffend, sie gingen über das geforderte Maß hinaus.
    »Hat er leiden müssen?«, meldete sich Sandra. »Ich meine, ist das schmerzhaft?«
    »Nein, der Mörder war sehr gnädig«, sagte Dr. Bretschneider und lächelte Sandra freundlich an. »Es ist eine der schnellsten Arten, die Bühne zu verlassen. Sie sind doch Informatikerin, da will ich die Zusammenhänge in Technikersprache übersetzen. In den Nervensträngen des Rückenmarkkanals werden alle Informationen vom Gehirn zu den inneren Organen geleitet. Bleiben diese Informationen aus, stellen sämtliche Organe ihren Dienst ein. Und ohne den Rest des Körpers bekommt das Gehirn wiederum nicht die für seine Existenz nötigen Dinge, wie zum Beispiel Sauerstoff, geliefert. Es ist so, als würden Sie den Verbindungsstrang vom PC-Prozessor zum Mainboard durchtrennen, dann läuft im Computer schlagartig auch nichts mehr.«
    »Kannst du irgendwas zum Mörder sagen?«, fragte Karin. »Eventuell eine Personengruppe ausschließen?«
    »Ja, der Stich wurde mit großer Kraft geführt, wie ich schon erwähnte. Der Mörder ist also kein Schwächling. Ich sagte Mörder, aber es kann auch eine Frau sein, wenn sie über die entsprechende Kraft verfügt. Ist das Mordwerkzeug mit Absicht an dieser Position in den Nacken getrieben worden, dann weiß der Täter über die Verletzlichkeit dieser Stelle genau Bescheid, das setzt eine gewisse medizinische Bildung voraus. Aber seit Einführung des Internets kann sich jeder halbwegs intelligente Mensch dieses Wissen auch anlesen und muss sich nicht einmal die Mühe machen, eine Bibliothek aufzusuchen.«
    Nach einer kurzen Pause, in der er der Reihe nach alle anwesenden Personen abschätzend musterte, setzte er hinzu: »Das Opfer war 1,82 Meter groß, anhand des Winkels, mit dem die Mordwaffe eindrang, kann ich sagen, dass der Täter mindestens 1,75 Meter groß sein muss. Ich möchte das gern verdeutlichen.«
    Damit stand er auf und stellte sich neben dem Versammlungstisch auf.
    »Herr Klingenberg, Sie haben die Größe des Opfers, bitte stellen Sie sich doch einmal zu mir. Und Sie, Frau König, treten bitte auch nach vorn. So, Herr Klingenberg, Sie drehen jetzt Frau König den Rücken zu. Da das ein Experiment ist, wird sie Ihnen ihre damit ausgedrückte Unhöflichkeit sicher verzeihen.«
    »Das muss ich mir erst noch gut überlegen«, sagte Sandra trocken.
    Dr. Bretschneider holte aus seiner Hosentasche einen Teleskopzeigestock und zog ihn auf eine Länge von dreißig Zentimetern aus. Diesen reichte er Sandra mit den Worten: »Nun können Sie sich für die ihnen entgegengebrachte Unhöflichkeit revanchieren und den Stock Herrn Klingenberg ins Genick stoßen.«
    Er zeigte auf eine Stelle von Jans Nacken und sagte: »Und zwar genau hier, schön zwischen dem ersten und zweiten Halswirbel. Wie würden Sie die Waffe halten, um mit der erforderlichen Wucht zuzustoßen?«
    Sandra hielt den Zeigestock in ihrer rechten Hand in Höhe ihrer Schläfe und führte ihn nach vorn. »So. Da kann ich die meiste Kraft in den Hieb legen.«
    »Genau wie Sie es demonstrieren geschah es auch, und da sie 1,75 Meter groß sind, würde der Zeigestock genau in dem Winkel in Herrn Klingenbergs Nacken eindringen, wie es bei dem