Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
dem Stress, den der Anblick des Toten ihr bereitet hatte. Trotzdem machte ihr hübsches Gesicht mit der niedlichen Stupsnase einen fröhlichen Eindruck auf Jan. Frau Schneider kam Jans Idealbild einer Frau extrem nah.
»Bitte nenn’ mich Claudia und nicht Frau Schneider. Und wir lassen auch dieses unpersönliche Sie«, sagte sie gleich zur Begrüßung und bat Jan in ihr Wohnzimmer.
»Das kommt mir sehr entgegen, das lockert die Atmosphäre. Dir ist also noch etwas eingefallen, was uns nützen könnte?« Jan fand seine Frage selbst plump, doch er hatte Mühe, seine Gedanken zu ordnen, und eine qualifizierte Zeugenbefragung durchzuführen. Claudias Erscheinung löste bei ihm alles, nur kein kriminalistisches Interesse aus.
Claudia kuschelte sich in einen alten, aber sehr gemütlich wirkenden Sessel und zog die Beine an ihren Körper heran. »Ja, aber viel kann ich nicht erzählen. Ich erinnere mich an eine Frau. Sie fiel mir auf, weil sie zweimal zu mir an die Kasse kam. Das erste Mal bezahlte sie entweder eine Tankfüllung oder eine Autowäsche, das weiß ich nicht mehr. Beim zweiten Besuch, kurze Zeit später, kaufte sie noch etwas zu trinken.«
»Wie lange vor dem Auffinden des Opfers fiel dir die Dame auf?« Jan gelang es wieder halbwegs, seine Gedanken auf den Fall zu fixieren und seinen Augen etwas Distanz zu Claudias Oberweite zu verordnen.
»Kurz davor, höchstens eine halbe Stunde.«
»Ich weiß, das ist jetzt schwer, kannst du dich noch besinnen, wie sie aussah?«
»Das ist gar nicht so schwer. Sie war recht auffällig. Wahrscheinlich ist sie mir auch deshalb aufgefallen. Eine große, kräftige Frau, aber nicht dick. Sie war attraktiv, etwas streng sah sie aus, aber trotzdem sehr attraktiv.«
»Kannst du ungefähr sagen, wie alt sie sein könnte?«, fragte Jan nach, der krampfhaft versuchte, seine Betrachtung einer anderen attraktiven Frau etwas in den Hintergrund zu stellen.
»Etwas älter als ich, aber nicht viel, vielleicht vier, fünf Jahre. Ach so, du weißt ja nicht, wie alt ich bin. Ich bin achtundzwanzig.«
Jan schrieb sich alles auf, er ließ sich viel Zeit dabei und tat öfter so, als müsste er überlegen. Claudias Angaben hätte er auch ohne Notizen ohne Problem behalten, aber er brauchte Zeit zum Nachdenken. Er suchte nach einem Grund, Claudia erneut aufzusuchen.
»Ich würde gern noch einmal wiederkommen, um dir ein Foto zu zeigen«, sagte er nach einer Weile.
»Kein Problem, nur musst du zuvor anrufen, ich arbeite in Schichten.«
»Hast du denn den Schock, den dir der Anblick des Toten bereitet hat, schon verkraftet?«, fragte Jan voller Hintergedanken, um ein weiteres, ihm hochwichtiges Thema schon thematisch vorzubereiten.
»Es geht so. Aber ich kann mich nicht ewig verstecken, und wenn ich zu lange fehle, werde ich gefeuert«, antwortete Claudia.
»Ich kann gut verstehen, dass dich dieses Erlebnis umgeworfen hat. Ich bin jetzt schon ein paar Jahre Polizist, aber an den Anblick von Mordopfern habe ich mich immer noch nicht gewöhnt«, sagte Jan, der sich noch sehr gut an seinen letzten Besuch in Dr. Bretschneiders Hallen erinnern konnte. Der Tote auf dem Seziertisch, den er dort zu sehen bekam, hatte ihm die Beine weggezogen. Zu seinem Glück stand Steffen Dahlmann bereit, um ihn aufzufangen.
»Vielleicht steht dein Freund dir bei«, kam Jan auf den für ihn entscheidenden Punkt zu sprechen. Dabei hegte er die Hoffnung, dass es einen solchen nicht gäbe.
»Nein, ich muss da allein durch. Ich bin zurzeit Single.«
Jan jubelte innerlich. Nun musste er seinen Plan, der ihm einen weiteren Besuch bei Claudia ermöglichte, nur noch bei Karin durchsetzen. Er stand anstandshalber auf, suchte aber verzweifelt nach einem Grund, sich noch ein Weilchen an dem Anblick der hübschen Claudia zu laben. Leider fielen ihm keine weiteren Fragen mehr ein.
Claudia, die nicht auf den Kopf gefallen war, hatte Jans Interesse an ihrer Person selbstverständlich registriert, und da ihr Jan ebenfalls recht gut gefiel, machte sie es ihm nicht gar zu schwer. Sie erhob sich aus ihrem Sessel, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »So, du musst jetzt verschwinden. Ich muss nämlich gleich los. Aber wenn du mit dem Foto kommst, nehmen wir uns etwas mehr Zeit. Ja?«
Jan nickte begeistert und ließ sich bereitwillig von Claudia aus der Wohnung schieben. Auf dem Weg in die Polizeidirektion grinste er freudetrunken vor sich hin und arbeitete an einem Plan, um Karin sein
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