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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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gemacht. Und auch sie schien hinter ihrem Tisch hervor- und zu mir kommen zu wollen, setzte sich dann aber doch brav hinter ihren Bücherstapel. Der Buchhändler ließ nicht locker.
    Nur das Wasser ließ sie sich nicht vom Buchhändler, sondern von mir nachschenken. Als sie lächelte, ging ihr Lächeln über mich hinweg und fühlte sich vielleicht gerade deshalb so an, als wäre ARS, die ich bisher nicht gekannt hatte, schon immer Teil meines Lebens gewesen. Ihr Lächeln ging über mich hinweg, weil sie dieses unwahrscheinliche, noch viel zu fragile Einverständnis nicht den Ahnungslosen um uns herum preisgeben wollte, schon gar nicht dem Buchhändler, der von all dem nichts mitbekam.
    Ich schrieb meine Telefonnummer auf die Rückseite der Quittung vom Thai-Restaurant.
    Auf mein Angebot, sie könne jederzeit anrufen, sagte sie schlicht: »Danke«. Aber darin lag all das Unausgesprochene des Abends, und ich hatte den Eindruck, daß ihre Antwort die einer Komplizin war.
    An diesem Oktobermorgen fiel mir das Aufstehen schwer und verzögerte sich weit in den Tag hinein. Von draußen war das Geschrei zu hören, das an- und abschwellende Rufen der Gänse. Die Erinnerung an die Lesung hatte eine angenehme Mattigkeit ausgelöst.
    Die Mattigkeit rührte daher, daß nichts unternommen werden mußte. Der Wunsch, ARS Aufforderung zu folgen, war verlockend genug und machte es, sollte er nicht verlorengehen, nötig, still und mit geschlossenen Augen zu liegen.
    Später fingen in der Ferne die Kirchenglocken an, und die Sonne stieg höher, und als der Nachbar den Rasenmäher anwarf, war der Moment vorüber und das Gekreische verstummt.
    |46| Das Telefon klingelte bis zum Mittag nicht. Gegen zwei Uhr hatte sich der Gedanke verfestigt, daß ARS zu diskret war, um anzurufen. Jemand wie sie würde eher eine Nachricht im Buchladen hinterlegen. Ich brach erneut nach Potsdam auf. Das bot mir auch die Gelegenheit, diesen besonderen Oktobertag zu verlängern, der mir prächtig und berauschend erschien. Es war, als hätten sich die Sehnen, die Muskeln seit Jahren zum ersten Mal entspannt, als fände der Körper wieder Platz in der Haut, statt sie bis zum Zerreißen zu dehnen. Ich spürte mich. Das war von einer solchen Intensität, daß es auf die Umgebung abzustrahlen schien. Die Töne schienen klarer. Die Farben am Morgen waren nicht nur kräftiger gewesen, sondern hatten sich aufgefächert von Dunkelgrau bis hinein ins Bläuliche. Das war um so überraschender, als ich vorher nie geglaubt hätte, das nicht wahrzunehmen. Es schien jedoch, als wären die Farben von jener Bleifolie befreit worden, mit der sie zuvor bedeckt gewesen waren.
    In Potsdam schlenderte ich durch Nebenstraßen. Ich wollte den Besuch im Buchladen hinauszögern, die Vorfreude so lange wie möglich auskosten. Noch waren die ekstatischen Zustände, in denen ich in den nächsten vier Jahren beinahe jeden Morgen aufwachen würde, nicht vorauszusehen. Die frisch renovierten Barockhäuser sahen vor dem klaren Himmel und dem Herbstlaub der Bäume in ihrer Schönheit beinahe unwirklich aus. Ein paar Blätter wirbelten zu Boden, und ich verspürte auf einmal Lust, einen Bekannten aufzusuchen, der nur wenige Schritte neben dem Buchladen sein Büro hatte. Eigentlich war er weniger ein Bekannter als jemand, den man in geschäftlichen Zusammenhängen kennenlernt und der dann für kurze Zeit zum Freund, sogar zum nahen Vertrauten wird. Zwischen uns war ein Vertrag zustande gekommen, der es nötig |47| machte, ihm auch intime Details des Familienlebens und insgeheim gehegte Wünsche zugänglich zu machen. In seiner Position als Makler wird er vielen, die wie ich ein Haus oder eine Wohnung kaufen wollen, zum Vertrauten, und doch war es ihm damals gelungen, mir das Gefühl zu geben, ich wäre der Einzige.
    Es war ein freundliches Wiedersehen. Das Büro hatte sich mittlerweile vergrößert. Er war zum Chef der Firma aufgestiegen, auf seinen Visitenkarten prangte unter dem Firmenlogo
alpha-
Immobilien jetzt sein Name. Er war immer noch derselbe jungenhafte Typ von damals. Wir saßen in der Ledercouchgarnitur unter dem Dach, nichts hatte sich verändert, von draußen hörten wir den Einkaufstrubel schwach durch die Fenster. Als er fragte, wie es mir gehe, stand mir ARS vor Augen.
    Der triumphale Morgen. Diese Farben.
    Ich dachte daran, ihm von der Lesung zu erzählen. Ich fieberte dem Besuch im Buchladen entgegen und spürte, daß sich die Intensität der Erwartung noch steigern lassen

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