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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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morgens die Zähne putzt, ich stand beim Duschen hinter ihr und brachte ihr ein Handtuch, und als der Kessel pfiff, drängten wir beide gemeinsam durch die Küchentür, so daß ich sie um die Hüfte faßte und wirbelnd mit mir zog. Der Kessel pfiff noch, als wir, halb im Türrahmen, uns auf die Wangen küßten.
    Ich wußte, daß wir dann zu einem Spaziergang am Kanal aufbrechen würden. Mit der Frau hatte ich, als wir eingezogen waren, lange Spaziergänge am Kanal gemacht. Auf unserem letzten waren wir mit dem Vorhaben losgegangen, die schwierige Situation zwischen uns zu klären, und hatten dann auf den vom Frühlingsregen schlammigen Pfaden die meiste Zeit geschwiegen. Wir liefen an den Bollern vorbei, an denen früher die Schlepper festgemacht hatten, die Forsythie blühte. Man kann endlos den Kanal entlanggehen. Auch wenn der Weg an manchen Stellen beinahe zugewuchert ist, gibt es doch immer noch eine schmale Spur, sie führt durch Nesseln, Wiesenschaumkraut und an Feldrainen entlang, und würde man immer weiter so gehen, gelangte man irgendwann an die Havel. Während des Laufens stießen unsere Hände manchmal gegeneinander, und als ich hinauf in den Himmel sah, bemerkte ich, daß die Misteln, die in den Pappeln hingen, die |59| Bäume langsam auffraßen. Es waren seltsame Monate. Das Haus roch noch nach rohem Putz, auf dem Dach standen unausgepackte Kisten voller Porzellan, die Krokusse schossen überall aus dem frisch anwachsenden Rasen. Die Provision war noch nicht bezahlt, und schon hatte sich alles, was der Makler an Zuversicht ausgestrahlt hatte, die gute Lage des Hauses, der freie Blick auf den Kanal, gegen uns gekehrt. Wir bewegten uns, als hätte uns jemand gegen unsere Absicht zwischen die Wände unseres neuen Zuhauses gesperrt. Die Frau fing an, von der größeren Auswahl im Westen zu sprechen. Sie sprach davon, daß sie früher nie eine Wahl hätte treffen können und daß sie sich jetzt diese Chance nicht entgehen lassen wollte. Schließlich, um Ostern herum, kam die Sprache darauf, daß wir es nur zu einem halben Haus gebracht hatten. Sie war überzeugt, daß ihr durch die größere Auswahl jetzt jemand mit einem ganzen Haus zur Verfügung stünde. Sie müßte sich nur erst einmal umschauen, und eine Veränderung täte uns beiden gut.
    Ich kann nicht sagen, was eigentlich vorgefallen war. Ich kann mich an keinen Streit erinnern. Ich erinnere mich nur an das, was sie immerzu wiederholte:
Du Sturkopp, du steckst fest in deinem alten Kram, ich wünschte, du würdest endlich mal aufwachen!
Auf einmal begegneten wir uns wie Geister. Solange wir auf engem Raum in der Neubausiedlung gewohnt hatten, war uns das nie passiert. Wenn der eine versucht hatte, sich mit Problemen davonzumachen, um sie allein zu lösen, hatte der andere ihn in die Wirklichkeit zurückgeholt, in unsere gemeinsame Wirklichkeit. Jetzt war es, als wären wir nicht mehr wirklich, auch die Spaziergänge halfen nicht, und dann kam der Sommer und löschte uns aus.
    Diese letzten, verbitterten Monate schicken immer noch, |60| sobald ich an sie denke, einen weißen kalten Schmerz durch den Körper.
    Heute morgen muß ich für Sekunden geglaubt haben, es ginge besser, wenn ich für diese letzten Monate ARS an die Stelle der Frau setzte. Aber meine Vorstellungskraft sonderte das sofort als unglaubwürdig aus. Der Wechsel von einer zur anderen im Strom der Bilder war zu abrupt. Um den Schmerz nicht mehr jedesmal zu spüren, wäre es wohl nötig, die Frau für die gesamte Dauer unseres Zusammenlebens rückblickend durch ARS zu ersetzen. Oder mir wenigstens einzureden, daß es eine parallele Geschichte geben könnte. Ich müßte mir einreden, ein Doppelleben zu führen. Bei dem wenigen, was ich von ARS weiß, ist das so gut wie unmöglich.
    Ich schrieb ihr zum ersten Mal an dem Tag, als der Nachbar seinen Zaun um drei Latten erhöhte. Die Novemberstürme hatten eingesetzt. Die Regenrinne an der Nordseite des Hauses war leck, das Wasser schoß direkt vor die Haustür des Nachbarn. Der Nachbar ist kein Einheimischer. Ihm war es unangenehm, daß sein Ziertümpel von meinem Arbeitsplatz aus eingesehen werden konnte. Aber da er nie hier oben war, weiß er nicht, daß er sich mit seinen drei Latten verschätzt hat. Noch immer ist die Hälfte seines schilfbewachsenen künstlichen Teiches über den Zaun hinweg zu sehen. Sogar seine behaarten Zehen sind zu erkennen, wenn er im Liegestuhl die Beine von sich streckt.
    Mittlerweile ist der Tümpel

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