Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest
Ohne Kontakt zu ihr ist das schwierig. Es verlangt Konzentration, die sich nicht einstellt, wenn man den Tag im Büro versitzt. Morgen werde ich mich krank schreiben lassen.
Im Zimmer ist es kalt. Die Heizung läuft nur mit halber Kraft. Obwohl die Kälte mir bisher nichts anhaben konnte, werden die Ringe um die Augen, die eine Folge der durchwachten Nächte sind, die Ärztin schon überzeugen.
Seit die Heizung nicht richtig funktioniert, drohen die Fotos an den Wänden feucht zu werden. Ein dünner, nasser Film liegt auf ARS Gesicht. Es wirkt, als wäre sie im Nebel fotografiert worden. Es läßt sie zeitlos aussehen. Wie die Gesichter auf alten Filmplakaten.
Hundertfach sieht sie herab von der Wand, als wolle sie mir einen Vorwurf machen. Als rege sie auf, daß es nicht vorangeht mit den Geschichten. Noch immer wirkt das meiste so, als sei es im Delirium entstanden, einem Delirium, das nichts mit ARS zu tun hat. Ich habe keine Ahnung, woher das kommt. Vielleicht kostet es mich eine solche Überwindung, ausgerechnet das Fest der Liebe heraufzubeschwören, daß sich wie zum Hohn ein beinahe krankhafter Übermut einstellt.
Die Fotos abzunehmen, wäre ein Fehler. Aus der Rauhfasertapete stiegen sofort die Geister. Dann kämen sie wieder alle an und wollten etwas. Ich habe den alten Heizlüfter aus dem Keller geholt, aber momentan macht er nur Wind. Er ist noch von Robotron und braucht ewig, um warmzulaufen.
Über dem Kanal hängt ein schmutziger Streifen. Die ausgebrannten Wohnungen im Neubaublock sind kaum zu sehen, auch wenn der Schnee etwas nachgelassen hat. Seit die Polizeistreife gestern dort vorbeikam, ist es dunkel. Kein Feuer brennt.
|95| Die Streife ist schuld daran, daß mir die Befürchtung kam, hinter meiner Verbundenheit mit ARS könne erotische Anziehung stecken. Von allein wäre ich nie und nimmer darauf gekommen. Erotik ist etwas vollkommen anderes. Erotik entstand immer dann, wenn mir die Frau bei aller Zurückhaltung Angebote machte. Ihrem verschlossenen Blick zum Trotz trug sie dann enge, dehnbare Pullover über ihren relativ großen Brüsten. Es kam vor, daß die Brüste sich mir auf den Unterarm legten, wenn sie neben mir am Tisch saß und nach der Kaffeesahne griff. Das Entscheidende waren allerdings ihre Haare. Sie hatte sie zu einer Hochfrisur gekämmt. Um die Frisur nicht zu zerstören, schlief sie mit einer Nackenrolle. Da nichts die Frisur durcheinanderbringen durfte, konnte ich mich des Impulses nie erwehren, ihr das Haar zu lösen und es über ihre nackten Schultern fallen zu sehen. Die Sorgfalt, mit der sie ihre Haare behandelte, war das ausgefallenste Angebot, das mir die Frau je gemacht hat.
Wenn sie jetzt manchmal in meiner Vorstellung auftaucht, trägt sie einen Kurzhaarschnitt. So ist das mit den Geistern. Wäre sie tot, ließe sich wenigstens trauern.
Durch die Fotos an den Wänden werden die Geister gebannt, und seit jenem Morgen im Oktober, als die Gänse kreischend über das Haus zogen, ist auch der Schmerz gewichen. Manchmal ist er fast gar nicht da.
Die Befürchtung, zwischen mir und ARS könne es eine erotische Spannung geben, konnte nur entstehen, weil es genau das ist, was jeder zuerst vermuten würde, der hier nach oben käme und die Fotos sähe und die vielen Kleinigkeiten, die ARS gehörten. Ich schäme mich, dieser Vermutung ebenfalls nachgegeben zu haben.
Heute morgen klingelte es an der Tür. Es war die Polizeistreife, die in der Nacht zuvor in die Neubauten vorgedrungen |96| war, eine Frau um die Vierzig und ein etwas jüngerer Mann. Ich nahm an, daß es sich um dieselbe Streife handelte, da sie mich fragten, ob sich auffällige Jugendliche in der Gegend herumtrieben und ob ich darunter auch junge Mädchen gesehen hätte. Ich bat sie herein. Junge Mädchen sieht man natürlich hier öfter. Die meisten der Nachbarn haben Kinder, und es ist klar, daß darunter auch Mädchen sind. Aber dann erinnerte ich mich an eine spezielle Gruppe Zwölf-, vielleicht Dreizehnjähriger, die ich im Oktober am Nymphensee beobachtet hatte. Das Wasser war schon herbstlich kalt gewesen, und die Mädchen hatten beim Hineingehen gekreischt. Sie tollten herum, sie waren ganz unbefangen. In ihren bunten Badeanzügen hüpften sie brusttief im Wasser umher, bespritzten sich, rannten dann zitternd zum Ufer zurück und wickelten sich in dicke Handtücher. Die Sonne hatte mit ihrem milden Licht alles in größere Nähe gerückt. Die Rundungen der jungen Brüste, die glatten Schenkel, es
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