Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest
und Sammelstücke in meinem Dachzimmer nicht für Zeichen erotischer Besessenheit oder gar von Perversion zu halten! Ihr Blick war so gelenkt durch das, was sie erwarteten, daß ich fürchten mußte, ihren Erwartungen auch noch ganz von allein zu entsprechen. Nur so ist die Befürchtung zu erklären, hinter meiner Faszination von ARS stecke erotische Anziehung.
Ich ging danach sofort in mein Zimmer hoch. Ich schloß mich ein. Als ich mit der Prüfung begann, sah der Raum im grauen Schneelicht, das von den Feldern hereinkam, bleich und keimfrei aus, wie ein Untersuchungszimmer, was mich zunächst beruhigte. Jedes andere Licht, jede luzide schimmernde Farbe hätte mich in eine romantische Stimmung versetzen und so das Ergebnis unvorteilhaft beeinflussen können.
Ich betrachtete lange ARS Gesicht. Diese feine Mischung aus Zutrauen und Zurückhaltung, der man ansieht, daß alles noch vor ihr liegt. Diese lächerliche Zurückhaltung! So voller Mißtrauen, Unsicherheit und Härte, die sich aus der gleichen Abscheu vor der Unzulänglichkeit des Lebens speisen wie das eigene Mißtrauen, die eigene Unsicherheit und Härte.
Aber diese Gedanken verflogen, und im grauen Schneelicht sah ich ARS in den Laken liegen, bekleidet mit einem dünnen Seidenhemd. Ich stellte mir vor, wie sie auf mich wartet. Wie ich leise die Tür schließe, wie sie zögernd die Hand ausstreckt und dann auffordernd über das Laken streicht. Wie sie mich ansieht. Wie ich mir Zeit lasse. Ich stellte mir vor, wie sie flüstert. Ich stellte mir vor, wie ich in Hosen und Westover zu ihr steige, wie sie sich herumdreht und langsam auf mich gleitet und wie ihre feine schwarze Spitzenwäsche meinen Handrücken berührt.
Es war wichtig, die Vorstellung weiter und bis an die |100| Grenze zu treiben, bis zum Moment der größten Versuchung. Aber dann begannen mir die Hände zu zittern. Sie zitterten haltlos, als würde jemand an den Gelenken drehen.
Als ich unten am Gartentor die Postfrau sah, knöpfte ich erleichtert die Hose zu und war schon auf der Treppe, als die Postfrau die Klingel betätigte, um mir durch die Sprechanlage mitzuteilen, daß ein Einschreiben vom Finanzamt gekommen sei.
Die Prüfung jedenfalls ist bestanden. Mein Körper war ergriffen worden, das läßt sich nicht leugnen, aber daran war nur eine Phantasie schuld, mit der es immer gelingt. ARS hatte sich dabei nicht hervorgetan. Sie war nicht einmal wirklich beteiligt gewesen, ja, im Grunde hatte ich sie in der Vorstellung gar nicht gesehen.
Mittlerweile ist es fünf Uhr früh. Der Tee ist kalt. Draußen ist es noch immer dunkel. Nur einmal ging der Bewegungsmelder an, ausgelöst von einer Katze, die als Schatten unter meinem Auto verschwand. Im beleuchteten Streifen fiel der Schnee senkrecht zur Erde.
Es ist seltsam. Ich werde den Eindruck nicht los, jetzt in irgendeiner Kartei als verdächtige Person geführt zu werden, mit Geburtsdatum, Adresse und einer Verwaltungsnummer, obwohl mir die Streife am Ende versichert hatte, daß es sich um eine reine Routinekontrolle gehandelt hätte.
Ich traue dem nicht.
Was ist denn, wenn ARS Anzeige gegen mich erstattet hat? Das ist nicht auszuschließen! Solange sie unsere Verbindung nicht sieht, könnte ihr meine Hartnäckigkeit lästig sein. Sie könnte sich bedrängt fühlen!
Ich muß schneller sein mit dem Schreiben. Ich muß mich in ihre Sprache hineinfräsen. Egal wie. Ich muß fertig |101| werden, ehe sie noch auf andere dumme Gedanken kommt.
Ich möchte nicht glauben, daß sie gegen mich vorgeht. Ich darf es nicht glauben.
Nachtrag:
Jemandem Briefe und Pralinen zu schicken, kann nicht strafbar sein! Wieso sollte ich ihr etwas antun? Dann werden eben keine Briefe mehr geschrieben. Keine Pralinen mehr geschickt. Dann werde ich diese Geschichten eben veröffentlichen! Das wird ihr die Weihnachtsstimmung gründlich versalzen. Statt die Geschichten von anderen unbeachtet unter dem Baum zu finden, wird sie in der Öffentlichkeit davon überrascht! Dann werden wir ja sehen, wer es sich hier noch leisten kann, nicht zu reagieren.
Protokoll 5
Im schrägen scharfen Licht des Morgens, das alles nackter werden läßt. Das Restlaub, das erfroren an den Pappeln hängt. Der dürre Schatten einer Frau, die mit ihrem Rad am Kanal entlangfährt. Die Signallichter der Gipsfabrik, die schwächer werden vor dem blendendweißen Schneehimmel, wo jemand ein Stück freigekratzt hat für die Sonne.
Die ausgehöhlten Neubauten gegenüber.
Letzte Nacht
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