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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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nicht sehen kann, dann sieht man dich doch auch nicht tanzen.«
    »Also ick selber hab ja keene Probleme mit’m Kieken. Ick seh die alle und mich selba ooch und zwar so wat von glasklar, dit gloobste nich.«
    »Vielleicht sehen dich die anderen ja«, sagte ich.
    »Davon jeh ick ma aus.«
    »Kann bei mir auch der Blindsight-Effekt sein. – In Afghanistan gab’s das, als die Russen da waren. Das muß so ein psychisches Ding sein«, sagte ich großspurig. »Wenn die Soldaten nämlich auf so eine psychische Art blindgeschossen sind, dann sehen die nicht mehr, was direkt in ihrem Blickfeld liegt. Man hält ihnen was vor die Nase, und sie sehen’ s nicht. Alles leer. Aber hinterher können sie genau sagen, was da war. Also der Witz ist, man sieht zwar |89| nicht, was da ist, man weiß aber, was man gesehen haben müßte.«
    Meine Freundin reagierte nicht.
    »Okay, war ’n Versuch. – Und was macht ihr jetzt da in diesem Ballett?«
    »Die Weihnachtsjeschichte«, sagte sie, »weil die meisten hier doch so relijös verblödet sind.«
    Ich stand vor ihrem weißen Trabant, und die Beifahrertür tat sich vor mir auf wie die steinerne Grabtür auf Golgatha vor Jesus. Ich dachte an meinen neuen Chef und seinen Auftrag. Aber kaum hatte ich meine Füße zwischen die leeren Colabüchsen vor dem Beifahrersitz geschoben, ließ der Motor die Karosserie erschüttern.
    Wir kamen glatt vom Parkplatz weg und nahmen problemlos die erste Kurve. Während der Fahrt bereute ich mehrmals, hierhergekommen zu sein. Ich hätte mit einem handwerklich sauberen, wenn auch unspektakulären Masterplan die Model-Köpfe gen Himmel gerückt, die Girlie-Hände zum Gebet arrangiert, bei meinem Chef vorsprechen und mich damit zufriedengeben sollen, daß sein Dank ein schlecht überspieltes Stöhnen war.
    Statt dessen saß ich in einem führerlosen Trabant, der mit springender Gangschaltung und freidrehendem Lenkrad über die Dörfer schoß. Ich sah schon die ersten Polizisten am Straßenrand. Sie würden ihre Kennmarken zücken, und ich hätte nicht mal meinen Führerschein dabei. Ich hätte ihnen nichts vorweisen können als eine völlig überflüssige Fahrkarte der Deutschen Bahn. Ich sehnte mich nach dem konservativen Cyberspace, wo der Körper immer in Sicherheit blieb.
    »Die Straße ham se aus’m Förderprogramm wieda rausjeschmissen, aba keene Angst, wird gleich bessa«, rief mir die Stimme meiner Freundin zu.
    |90| Der Fahrersitz war leer, aber ich wußte, wie sie damals in Berlin, auf der Ladeklappe von Robben & Wientjes ausgesehen hatte, und es kam mir vor, als müßte ich nur die Plane des LKW zur Seite klappen, und schon würde ich sie wieder vor mir haben. Sie selbst schien sich über ihre Unsichtbarkeit keine Gedanken zu machen. Ungerührt bretterte sie in ihrem schlecht gepolsterten Trabi über das Kopfsteinpflaster des Havellands und hielt sich ansonsten an eine völlig private Höchstgeschwindigkeit. Ein Kanal flog vorbei, an dem ein paar Waldarbeiter mit dem Abholzen von Pappeln beschäftigt waren.
    »Watt wart, weswejen de noch ma hierherjejockelt jekomm bist?« rief sie.
    »Die Auferstehung«, brüllte ich, wobei mir der Fahrer eines entgegenkommenden und korrekt besetzten Golf einen Vogel zeigte. »Der will das in echt!« Gleich darauf begann es, dunkel zu werden. Die Weihnachtsbeleuchtung in den Vorgärten sprang an. Das Kopfsteinpflaster wurde nicht besser.
    »Jenau!« brüllte meine Freundin. »So’n überirdischer Kikifax. Dajejen war dit Arbeiterbällej noch janz wat richtich Anständijet. Da jings noch darum, dasde, wennde ooch nur ’n Pfennig verlorn hast, de janze Belegschaft zusammentrommelst und alle jemeinsam mit dir suchen, biste ’n jefunden hast. Un jetze? Kiekse dir doch an, wiese alle alleene rumhirschen.«
    Das leuchtete mir ein, aber ich hatte auch nicht mehr die Kraft, ihr zu widersprechen. Ich saß durchgeschüttelt auf dem Beifahrersitz eines heruntergekommenen Trabants, der die Geschwindigkeitsbegrenzung von 80   Stundenkilometern längst überschritten hatte. Aber vielleicht befand ich mich auf der Negativseite der Wirklichkeit, dort, wo man flüchtig am Leben, der Kontakt zu allem Lebendigen |91| jedoch abgeschnitten war. Vielleicht litt ich auch nur am Burnout-Syndrom, vielleicht hatte ich in letzter Zeit zu viele Bilddateien bearbeitet, zu oft Gesichter retuschiert, Leberflecken oder störende Muttermale beseitigt und verlernt, richtig hinzugucken.
    »Dauert es noch lange?« rief ich.
    »Zehn

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