Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest
schlechte Angewohnheit |144| von Schriftstellern. Sprechende Namen sind für sie wie Polizisten, die man, obwohl die Ampel funktioniert, noch zusätzlich auf die Kreuzung stellt. Was einer der Gründe ist, ihr ein Freund im Geiste zu sein.
Trotz allem.
Trotz des Zwischenfalls vor ihrem Haus und obwohl dieser Zwischenfall Spuren hinterlassen hat, die tiefer gehen, als zuerst angenommen. Ich wollte ursprünglich auf direktem Weg von Berlin-Mitte nach Charlottenburg zu ihrer Agentur fahren. Aber einmal in ihrer Nähe, konnte nichts mich davon abhalten, einen Abstecher zu ihrer Wohnung zu machen. Ich wollte mich davon überzeugen, daß es ihr gutging. Ich parkte vor ihrem Haus mit dem Vorhaben, nicht länger als eine halbe Stunde zu warten. Aber das Auto kühlte schnell aus, und ich begann herumzulaufen. Nur so ist zu erklären, warum ich schon wieder nicht an mich halten konnte und in einem Handy-Geschäft, das ihrem Haus direkt gegenüberliegt, auf ARS Namen ein Handy mit einem Jahresvertrag kaufte, es zusammen mit der Rechnung in einen Umschlag steckte, mir von einem Nachbarn die Haustür öffnen ließ, die vier Etagen zu ihrer Wohnung hochstieg und das Paket halb unter ihren Abtreter schob.
»Der Fremden des menschlichen Herzens. Zu Weihnachten«, hatte ich auf den Umschlag geschrieben.
Ich war kaum zurück im Auto, als sich ARS im Rückspiegel näherte. Sie trug einen karierten Schal, der ihr bis über das Kinn reichte, ihr Gesicht war gerötet, die Winterluft mußte sie erfrischt haben. Sie bückte sich und formte einen matschigen Schneeball, den sie zielgenau in das @– Zeichen eines Internetladens warf, sie schien zu strahlen, was mich von einem Moment auf den anderen in eine beinahe ekstatische Fröhlichkeit versetzte. Ich sank ganz in |145| den Sitz zurück, um nichts zu verpassen, ich saß reglos, weil ich spürte, daß die Ekstase sonst verschwinden würde, und verfolgte durch das Seitenfenster, wie ARS (meine ARS! meine Verbündete!) sich bei einer Frau unterhakte, bei der es sich angesichts der blauen Zipfelmütze mit hoher Wahrscheinlichkeit um Berenice handelte. Ich sah, wie Berenice die Haustür aufschloß und sich gegen die Tür stemmte und wie beide im halbdunklen Inneren verschwanden.
Die Tür fiel zeitverzögert ins Schloß.
Ich blieb noch einige Minuten sitzen. Sie zu sehen, mit diesem klaren, kalten Dezemberlicht auf Gesicht und Haar, hatte den Puls so hochgetrieben, daß mich jetzt, als das Hämmern in den Schläfen nachließ, eine wohlige Erschöpfung befiel. Ich löste die Hände vom Lenkrad, und sie sanken mir erschlafft in den Schoß. Die Autoscheiben beschlugen. Ich sah ARS schon mit dem Handy auf Lesereisen. Ich sah, wie sie sich auf einer Lesung entschuldigen würde, wenn es plötzlich klingelte. Da niemand ihre Nummer kannte, würde sie ihr Handy nicht abgestellt haben; niemand bis auf mich. Für mich würde sie von nun an jederzeit zu erreichen sein. Der Gedanke machte mich glücklich.
Wäre ich nur eine Minute früher aufgebrochen, hätte mich dieses Glück über Wochen begleitet.
Aber ich war noch da, als die Haustür wieder aufging. ARS kam herausgerannt. Sie lief, als verfolge sie jemanden, zuerst in die eine, dann in die andere Richtung, sie rempelte Leute an, die ihr entgegenkamen. »Ich krieg dich, du Schwein, los, zeig dich, du Feigling, ich hab die Schnauze voll von deiner verdammten, deiner ätzenden, deiner, deiner beschissenen, deiner fiesen, bescheuerten Anmache!« Dem türkischen Jungen mit gegeltem Haar, der |146| gerade seine Zigarette vor ihrem Haus ausgetreten hatte, schrie sie unflätig zu: »... und ihr Arschlöcher verpißt euch, von eurem ewigen Gekiffe sollen euch die Eier schrumpfen!« Sie war außer sich. Sie schlug sich mehrmals mit der flachen Hand an den Kopf, und ich war zu gelähmt vor Schreck, um auszusteigen und ihrem Toben Einhalt zu gebieten. Es war mir peinlich für sie, und obwohl niemand von unserer Verbindung wußte, kam es mir so vor, als würden die Leute auch mich anstarren.
Dann stürzte die Frau, von der ich annehme, daß es Berenice war, aus der Haustür. Aber bevor sie ARS erreichen konnte, war die bereits auf die Straße gerannt, Autos hupten, ein Bus mußte ausweichen und kam meinem linken Außenspiegel sehr nah. Ich hätte nie geglaubt, ARS könne derart überreagieren. Dann sah ich, daß sie das Paket zerfetzt in der Hand hielt, das ich unter ihren Abtreter geschoben hatte. Sie schleuderte es gegen eines der Autos. Das Handy
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