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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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dritten Advent, ein Studentennikolaus trottete vorbei. Er warf mir einen Gruß zu, der sich erst im Laufe meines Herumrätselns als
Flotte Biene
herausstellte, ein Kompliment, das meine Erscheinung in gebrauchten Plastikstiefeln, Pumphosen und Bommelmütze nur bedingt ernst nahm und der Formulierung nach nicht zu einem aktuellen Studenten paßte. Vielleicht handelte es sich um einen Hartz-IVler, der sich als Student verkleidet hatte, um einen Nikolausposten und so auch ein paar Plätzchen abzubekommen.
     
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    Als auch mein Leben umgeblättert war.
    Ich fand mich in einem Thermalbad, einem Treibhaus, in einer Art aufgeblasenem Mittelmeerparadies wieder, das mit funkelnden Wassern im Pool, mit aufgereihten Liebesliegestühlen und Sonnenschirmen voller aufgedruckter Cowboys und einem einzigen langen Lachen ausgerüstet war, das den Dezembernebel geschluckt hatte und sich jetzt daran machte, auch mich hinunterzuschlucken.
    »Moment mal«, sagte ich, was aber niemanden kümmerte, kreischend jagten sich kleine nasse Gestalten, umrundeten mich und meine Bommelmütze und die tauenden Apfelsinen, die zwischen den Bikiniträgerinnen und mir eine Pfütze machten.
    Ich war in ein Berliner Badeparadies halb schlafwandelnd, halb kopflos vor Angst hineingerannt. Und da sich das Drehkreuz nur in eine Richtung drehte, mußte ich also einmal an Pool, tannennadelgrün gestrichenen Palmen und braungecremten Menschen vorbei, wenn ich wieder hinaus wollte.
    » [email protected] «, sagte jemand von hinten. »Sieh an.« Die Stimme vibrierte auf eine Weise, die sich am besten als pink beschreiben läßt. »Schön, dich zu sehen. Und was für eine hübsche Bommel du aufhast. Die nehmen wir doch erstmal ab.« Die Mütze verschwand von meinem Kopf, zwei Finger legten sich auf meine Schulter. Zwei Finger preßten sich auf mein Schlüsselbein, der kleine fünfte piekte mir ins Schulterblatt.
    »Da rennst du mir also geradewegs in die Arme. Besser hätt’s ja nicht laufen können.«
    Die Finger bewegten sich in Richtung Hals. Sie fanden die Hauptschlagader und strichen spielerisch darüber.
    »Und? Weißt du auch, was du falsch gemacht hast«, flüsterte |164| es. »Im letzten Jahr? – Nein, ich bin nicht der Weihnachtsmann.« Ich spürte den Atem im Nacken. »Aber weißt du«, raunte die Stimme. »Ich bin was viel Besseres.«
    Die Hand auf meiner Schulter drehte mich herum.
    Vor mir stand Berenice. Die nicht mehr Berenice war. Sie schien verändert. Etwas fehlte. Ein Flügel. Aber hatte sie damals überhaupt Flügel gehabt? Und goldenes Haar?
    Ja. Das Haar. Um ihr einst, man könnte sagen: schönes retro-Antlitz flatterten nur noch schwarze verlorene Strähnen, mit roter Farbe durchsetzt, was ihr den Anschein einer Punkerin gab, dabei war Berenice eher überirdisch gewesen. Sie hatte mich zur Sieben geführt, und die Sieben gewann, und jetzt griff diese Person meine Hand, die ganz und gar nicht Berenice war, die sich nur einer zufälligen Ähnlichkeit erfreute und mich damit beinahe weich und nachgiebig hätte stimmen können, sie führte mich an der Hand in die Sauna und drückte sie ins eisige Tauchbecken und hielt sie dort fest. Das Eis kroch mir die Adern hoch und staute das Blut. Und als ich endlich begriff, wie mir geschah, als ich mich kniend am Tauchbecken wiederfand, Eis bis zum Oberarm, und aus der Chlorbläue starrte ein verzerrtes Gesicht zurück, versetzte ich ihr schreiend einen Kinnhaken, der mißlang.
    »Mann ey, spinnst du oder was?«
    »Hättest du mir Berenice gelassen, wäre das nicht passiert«, zischte sie und glitt von mir weg. Sie sprang die Stufen zum Pool hinunter, immer noch mit meiner Hand, die ihr idiotischerweise ergeben im Griff lag, wobei mir einfiel, daß das eine Weihnachtsgeschichte werden sollte, also doch ein winterlicher Text, und ich sie daraufhin überholte, unsere Hände immer noch ineinander verhakt, um sie in den Schneeraum zu verfrachten. In so einem Schneeraum ist man ziemlich schnell unterkühlt, aber schließlich |165| wollte sie mich ja auch fertigmachen. Die Wände zischten, aus einer Düse stob Schnee, was in Wirklichkeit winzige Splitter von Eiswürfeln waren, die ein böser Barkeeper scharfkantig zugeschnitten hatte und uns aufs nackte Fleisch trommeln ließ. Ich sah davon momentan nicht viel, weil der Eiswürfelschnee auch die Wimpern traf und dort schmolz und sich als Schleier vor die Augen legte. Oder waren es Tränen. Sollte ich tatsächlich wegen meiner

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