Vom Finden der Liebe und anderen Dingen (German Edition)
es bloß lustig, die unproduktivste Art zu finden, seine Zeit zu verbringen.«
»Und deswegen hasst du ihn? Weil er die Highschool aus einem Grund geschmissen hat, der dir nicht passt? Was hat er dir denn getan?«
»Es geht nicht darum, was er mir getan hat.« Marcus lehnte sich fröhlich auf seinem Stuhl zurück und trank langsam einen Schluck Bier. Ich überlegte mir schon einen Vorwand, um zu gehen, weil ich wusste, was nun kam. Es war Marcus’ Lieblingsthema. »Sondern darum, was er Joe angetan hat.«
»Was meinst du damit?«
»Du bist unglaublich«, sagte Marcus. »Du weißt buchstäblich gar nichts. Du könntest wenigstens einwenden, Alvin sei zu schlau für eine formale Ausbildung gewesen, sodass es eine gute Entscheidung war, die Schule sausen zu lassen und sich so durchzuschlagen. Aber für Joe war das jedenfalls eine schreckliche Idee. Joe ist bei keinem Test als Genie aufgefallen. Und was immer Alvin auch im Hirn hat, Joe hat das Gegenteil.«
»Moment.« Julia wandte sich zu mir. »Du bist auch von der Schule weg?«
»Ich lerne gerade für den Hochschultest.«
»Alvin war so ein schlauer Junge, dass niemand merkte, wie schwer von Begriff Joe war«, sagte Marcus. »Er hatte furchtbare Probleme, zu lernen und Informationen zu behalten, und er konnte sich überhaupt nicht konzentrieren. Er konnte nicht zuhören. Er war ständig abgelenkt und konnte sich auf nichts lange genug konzentrieren, um es zu verstehen. Er bewältigte das Leben nicht, während es ihm noch geschah. Meine Mutter wusste, dass er so eine Art Aufmerksamkeitsstörung hatte, wenn nicht noch mehr, und auch mein Vater erkannte das allmählich, und wären unsere Eltern noch länger da gewesen, dann glaube ich, Joe hätte sich irgendwie durchwursteln können. Sie hätten ihn auf irgendwelche Drogen gesetzt, vielleicht auch Nachhilfe. Wenigstens hätte er dann Lesen gelernt. Bestimmt sind viele Jungen, die schlimmer dran waren als Joe, zu funktionstüchtigen Erwachsenen herangewachsen. Aber Onkel Ruby hatte überhaupt keinen Einfluss, und bevor noch jemand anders sich einschalten konnte, hat Alvin die Sache in die Hand genommen.«
»Wie meinst du das, in die Hand genommen?«
»Als unsere Eltern weg waren, beschloss Alvin, Joe selbst großzuziehen. Er mochte Joe, wie er war, und sah Joes geistige Störungen als Burg, die es mit allen Mitteln zu verteidigen galt. Mich erstaunt noch immer die Leidenschaft und Energie, die er in dieses Projekt steckte, zumal bei einem Achtjährigen. Er machte es sich zur Lebensaufgabe, dafür zu sorgen, dass Joes Defizite nie offiziell diagnostiziert wurden, er nie Hilfe erhielt, sich nie änderte und auch nie groß wurde. Er brachte sich bei, linkshändig zu schreiben, damit er ihrer beider Hausaufgaben machen konnte, und sogar eine dritte Handschrift hatte er, um Arztberichte zu fälschen. Das alles ging natürlich nur, weil unsere Schule damals so schlimm war. Die Highschool war schon um einiges kniffliger an der Nase herumzuführen, weil sie da nicht mehr in einer Klasse waren, und so beschloss Alvin nach zwei Tagen, dass sie beide ganz wegblieben.«
»Ich glaube, du verarschst mich«, sagte Julia.
»Weißt du, warum Joe nur Pizza und Cheeseburger isst?«
»Er mag es eben. Eine Phase, in der er hängen geblieben ist.«
»Es war Alvins Idee. In der dritten Klasse hatte Alvin keine Lust mehr, so dünn zu sein, und beschloss, ein ganzes Jahr lang nur Pizza und Hamburger zu essen, um zu sehen, ob er davon nicht zunahm. Aber er wollte es nicht allein machen, also überredete er Joe, es auch zu versuchen. Alvin brachte es nichts, also hat er es wieder aufgegeben. Nicht so Joe. Und seitdem isst er dieses Zeug.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte Julia.
»Du hast mich gefragt, warum ich Alvin hasse. Ich beantworte deine Frage. Nämlich, weil er Joe zerstört hat. Er hat mit seinem Zwillingsbruder immer gern so kleine Psychospielchen getrieben, dass sie ihre Namen tauschen sollten und so weiter, aber nachdem wir unsere Eltern verloren hatten, wurde das zu einer Obsession. Er war entschlossen, dass Joe sich niemals ändern dürfe, und darin war er nicht aufzuhalten. Wer sich einmischte, wurde sofort sein Feind. In einem Jahr überredete ich den Schulpsychologen, sich Joe einmal anzusehen, und brachte ihn sogar dazu, ihm Medikamente zu verschreiben. Als Alvin herausfand, was ich gemacht hatte, wollte er mich mit Rattengift umbringen. So entschlossen war er. Und immer hatte er einen besonderen Einfluss auf
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