Vom Internet ins Ehebett (German Edition)
Liebeserklärung. Als wir uns dann allerdings wirklich gegenüberstanden, hatten wir uns plötzlich nichts mehr zu sagen. So kann es natürlich auch kommen: Schließlich schafft man sich durch die E-Mails und die Telefonate in seinem Kopf ein Bild von der anderen Person. Und die Realität muss natürlich mit diesem Bild nicht mithalten. BeiWolfram hat die Realität die Erwartungen allerdings absolut übertroffen.«
Ich dachte an meinen Abend mit Alois Steuerthal. Wenn ich mit dem Mann zuerst E-Mails ausgetauscht hätte, ich bin sicher, ich hätte ihn nie getroffen. Und ich hätte mir dadurch einen langweiligen, peinlichen Abend erspart. Und Bea einen Lachanfall.
»Vor dem Treffen kann man noch digitale Fotos austauschen, wenn man möchte – auch das hilft, böse Überraschungen zu ersparen. Und dann auf zum ersten Treffen. Da hat man meist das Gefühl der Vertrautheit. Als würde man einem alten Bekannten gegenübersitzen, den man schon lange kennt. Ja, ja, die Partnersuche im Internet war eine spannende Zeit. So froh ich bin, dass ich jetzt Wolfram gefunden habe – diese Zeit möchte ich nicht missen.«
Also, ich weiß nicht: mit wildfremden Männern E-Mails austauschen? Sich kennen lernen über das Internet? Das war doch eher etwas für Frau Meiner. Die war offen für Neues, lustig, extrovertiert. Für mich, Peters Witwe, für mich, Huberts Schwiegertochter, für mich, die gute alte, verträumte Roli, war das nichts. So viel stand fest.
IX
»Tim, Sebastian, seid ihr zu Hause? Könnt ihr mir sagen, wie man ein anonymes Postfach im Internet einrichtet?«
War ich nicht ein Musterbeispiel an Konsequenz? Ich hatte kaum die Haustür hinter mir geschlossen, als mich der unbändige Drang befiel, mich sofort ans Werk zu machen. Wenn Frau Meiner ihren Wolfram über das Internet gefunden hatte, warum sollte mir nicht Ähnliches gelingen? Ich stellte meine Einkaufstüten auf den Stuhl neben der Kommode und warf einen raschen Blick in den Spiegel. Nicht schlecht. Ungewohnt. Aber gut. Der neue Haarschnitt umschmeichelte mein Gesicht. Wenn jetzt noch die neue Brille dazukam …
In diesem Augenblick wurde Carlas Wohnungstür geöffnet, und ich hörte, wie Oliver Martens sich von seiner Tochter verabschiedete. Dann kam er in raschem Tempo die Treppe heruntergesprungen. Den Schlüssel seines englischen Sportwagens lässig um den rechten Zeigefinger kreisend. Als er mich sah, blieb er wie angewurzelt stehen und blickte mir mit erstauntem Gesicht entgegen: »Sieh an: Frau Dr. Steinberg. Du hast dich aber verändert. Was soll das wohl bedeuten? Gehst du auf Männerfang, Rosalind?«
Ich habe Olivers ironischen Tonfall noch nie leiden können. Er hatte mich immer eingeschüchtert. Wie oft hatte ich mich verflucht, nicht rechtzeitig die passende Entgegnung parat gehabt zu haben.
»Freu dich nicht zu früh, Oliver. Dich fange ich ganz bestimmt nicht. Du bist absolut nicht mein Typ.« Hatte ich das eben gesagt? Oliver verstummte erstaunt.
Carlas Kopf erschien im Türspalt: »Roli geht auf Männerfang? Was meinst du damit, Oliver?« Ihre Augen weitetensich sichtlich, als sie mich sah: »Was ist denn mit dir passiert? Du siehst toll aus! Die Haarfarbe kenne ich: Die hast du schon zu Beginn unseres Studiums getragen. Die steht dir wirklich gut. Und ich hätte gedacht, du wärst zu Frau Meiner gegangen, nur um die Adresse zu erfahren.« Sie blinzelte mir zu.
Inzwischen waren auch meine Söhne aus der Küche gestürmt: »Was für eine Adresse?«, erkundigte sich Tim und wandte sich dann mir zu: »Was gibt’s zum Abendessen, Mam? Kann Jordy mitessen? Er schläft heute bei uns. Das ist dir doch recht, Mam?«
Von Carla kam ein empörtes Schnaufen: »Tim«, sagte sie streng, »deine Mutter hat eine neue Frisur.«
Ich musste grinsen. Carla konnte mit so viel männlicher Ignoranz nichts anfangen. Tim nahm mich genau in Augenschein: »Au ja, stimmt. Siehst fast so aus wie Meg Ryan. Geht das klar mit Jordy?«
Mein Sohn verglich mich mit Meg Ryan? Der Heldin aus »Harry und Sally«, einem Film, den ich mindestens dreimal gesehen hatte? Und da sollte ich seinem besten Freund ein Abendessen und ein Nachtlager verweigern? Ich warf einen raschen Blick in den Spiegel. Na, vielleicht hatte er gar nicht so Unrecht …
»Alles klar«, sagte ich, worauf Tim mir zuwinkte und in der Küche verschwand. Sebastian, der sich schweigend im Hintergrund gehalten hatte, grinste mir zu, bevor er seinem Bruder folgte: »Die Jeans steht dir gut, Mam.«
Weitere Kostenlose Bücher