Vom Internet ins Ehebett (German Edition)
den Speisekarten. Wahre Bücher, in dunkelbraunes Leder gehüllt. Ich öffnete meine Karte. Nun musste ich wirklich lachen.
»Was ist los? Stimmt etwas nicht?«, Stefan war sichtlich irritiert.
»Ich habe eine Damenkarte erhalten.« Das fand ich originell. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es so etwas noch gab. Eine Karte, in der rücksichtsvollerweise die Preise nicht ausgedruckt waren.
Stefan fackelte nicht lange: »Eine normale Karte für meine Begleiterin«, befahl er, ohne in mein Lachen einzustimmen.
Dann wieder zu mir gewandt: »Sie haben Recht, meine Liebe. Im Zeitalter der Emanzipation sollten solche Karten nicht mehr aufgelegt werden. Schließlich kennen in der heutigen Zeit auch die Frauen den Wert des Geldes.«
Und ob ich den kannte. Und als ich die Preise sah, die nun hinter den Gerichten angegeben waren, hätte ich mir gewünscht, sie doch nicht zu wissen. Heute Abend verspeisten wir gut und gerne einen Kleinwagen.
Wir einigten uns auf das sechsgängige Menü. Stefan diskutierte mit dem Oberkellner noch einige Zeit über die Herkunft des Wolfsbarsches, den er sachkundig »Branzino« nannte. Und überlegte, ob er sein Chateaubriand lieber »medium« oder »medium rare« haben wollte. Chateaubriand »medium rare« war fast blutiges Rindfleisch und kam für mich nicht infrage. Als der Oberkellner unseren Tisch verließ, stand schon der Sommelier bereit, um uns zu beraten, welchen Wein wir zu den einzelnen Gängen wählen sollten. Stefan schien äußerst fachkundig zu sein. Zumindest war der Weinkellner klug genug, seine Entscheidungen mit einem »Selbstverständlich, Herr Konsul!« und »Wie Recht Sie haben, Herr Konsul« gutzuheißen. Stefan verzog keine Miene. Er schien es gewöhnt zu sein, dass man ihn mit Unterwürfigkeit behandelte. Wahrscheinlich war sein Trinkgeld immer entsprechend! Dieser Gedanke war zynisch, und darum schalt mich meine innere Tante Hildegard auch umgehend dafür.
Als das eifrige Dienstpersonal endlich abgezogen war, beugte sich Stefan zu mir und sagte mit einem ermunternden Lächeln: »Ich möchte alles über Sie erfahren.«
»Über mich gibt es nicht viel zu sagen«, antwortete ich aus dem ersten Reflex heraus. Bea hätte mir für diese Antwort sicher eine Tracht Prügel angetragen. »Wie Sie wissen, bin ich Zahnärztin«, beeilte ich mich daher, neu zu beginnen.
»Zahnärzte«, er seufzte, »zwei meiner Golffreunde sind auch Zahnärzte. Ihr habt es geschickt gemacht. Kurze Arbeitszeiten, und doch scheffelt ihr jede Menge Geld. Da kann unsereins nicht mithalten. Wenn ich zurückdenke an die ersten zwanzig Jahre. Vor einundzwanzig Uhr bin ich nie aus dem Büro gekommen. Jetzt geht es etwas leichter. Meine Angestellten und freien Mitarbeiter nehmen mir die Routinearbeit ab. Und ich kann mich auf das Wesentliche konzentrieren. Ah, der Champagner!«
Der Oberkellner servierte mit Grandezza die hochstieligen Kristallflöten.
»Auf Sie, meine liebe Frau Dr. Steinberg«, er schenkte mir sein strahlendstes Lächeln, »würden Sie mir die Freude machen, Sie Rosalind nennen zu dürfen?«
Ich nickte noch ganz betäubt. Wobei ich nicht sicher war, war ich betäubt von Stefans Einstellung zu meinem Beruf? Oder war ich betäubt vom betörenden Blick seiner blauen Augen? Der Mann hatte aber auch blaue Augen! Es würde mir nicht schwer fallen, ihn Stefan zu nennen. Das hatte ich in den letzten Tagen in meinen Träumen oft genug getan. Jeden Tag seit dem Tag, an dem ich ihn nicht mehr Wolfram genannt hatte. Was hätte er wohl gesagt, wenn er gewusst hätte, dass mich sein Gesicht schon seit Monaten beschäftigte?
Wir prosteten uns zu. Ich wartete vergeblich auf den Bruderschaftskuss. Stefan machte keine Anzeichen dafür. Wahrscheinlich war das auch in dieser vornehmen Umgebung nicht angebracht.
»Jetzt muss ich dir aber doch widersprechen«, ich stellte das Glas ab. Seine Worte von vorhin konnte ich keinesfalls einfach so hinnehmen, »mein Beruf ist ein sehr schwerer Beruf. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Arbeit, die extreme Konzentration verlangt. Und auch wenn ich nicht vierzig Stundenlang am Behandlungsstuhl stehe, so beträgt meine Arbeitszeit mit allen Abrechnungen, Arztbriefen und den sonst zu erledigenden Arbeiten sicherlich diese Stundenanzahl. Ganz abgesehen von Fortbildung, Lesen von Fachliteratur …«
»Aber meine liebe Rosalind«, er legte seine Hand besänftigend auf meinen Unterarm, »das ist doch kein Grund, sich zu verteidigen. Wir alle wissen doch, was ihr
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