Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
»Ich weiß, was Sie in diesem Moment denken.«
Sie sah
mich erschrocken an. »Nein! Woher können Sie das wissen, Sie waren doch nicht dabei.«
»Nein, leider
nicht. Man merkt Ihnen aber sofort an, dass Sie in Ihren Mann immer noch so verliebt
sind wie am ersten Tag.«
Die Bürgermeisterfrau
lächelte entspannt. »Ach, das meinen Sie! Natürlich, da haben Sie recht.«
»Mir fiel
das gleich auf!« Ich war zufrieden. »Und wie haben Sie Ihren Mann kennengelernt?
Das war sicher nicht so einfach.«
»Nein, wirklich
nicht. Die Zahnwurzelbehandlung. Mein Heniek ist so sensibel. Er konnte vor Schmerzen
kaum alleine gehen. Zufällig habe ich an dem Tag meinen Befund abgeholt, da sah
ich ihn alleine rausgehen. Um Himmels willen, wenn ich nur daran denke, er schwankte
wie ein Betrunkener.«
»Und Sie
haben ihm geholfen, sicher nach Hause zu gelangen, und danach …« Ich lächelte sie
aufmunternd an.
»Dann habe
ich ihm Schmerztabletten geholt.«
»Und dann?«
Mit einem
Taschentuch betupfte sie ihre Stirn, dann lächelte sie verschmitzt. »Nun, vier Monate
später haben wir geheiratet und ich trug das wunderschöne Hochzeitskleid meiner
Mutter. Ich war so glücklich, einen Monat später hätte ich in das Kleid nicht mehr
gepasst.«
»Nein, das
ist ja unglaublich spannend!«
»Nicht wahr,
so etwas passiert nicht jeden Tag.«
Mit enormer
Willenskraft unterdrückte ich ein Gähnen und legte Enthusiasmus in meine Stimme:
»Das war bestimmt nicht alles. Ein klitzekleines Geheimnis haben Sie sicher noch
auf Lager.«
Ihre Heiterkeit
verschwand plötzlich, sie sah sich um und legte den Finger auf ihre Lippen. »Pst,
ich habe nichts gesagt. Und jetzt seien Sie still, meine Kinder treten auf.«
Mit beiden
Händen bahnte sie sich den Weg durch die Gäste und verschwand. Eine Erholungspause
hatte ich bitter nötig, ich setzte mich sich in einen Korbsessel vor die Bühne.
Im Sessel daneben machte Kurt es sich bequem und schloss die Augen.
Die vier
Kinder stellten sich brav in einer Reihe auf die Bühne. Das alles verhieß nichts
Gutes. Und tatsächlich, die Kinder fingen an zu singen. Ein polnisches Volkslied
über Husaren, die ans Fenster eines Mädchens klopfen. Die Gäste stimmten ein, nach
Kräften bemüht, den Gesang der Kinder zu übertönen. Eine Dame versuchte es mit zittrigem
Sopran, Jan gab alles mit seiner Tenorstimme, ein Bass kämpfte gegen einen hysterischen
Alt. Als das Lied verhallt war, näherte sich uns die Frau des Bürgermeisters. Kurt
sprang auf und bot ihr seinen Platz an, sie zwängte sich in den Gartenstuhl, dessen
Plastikbeine langsam in die Erde sanken. Sobald die Stuhlbeine fest verankert waren,
sah sie mich herausfordernd an. »Nun bin ich dran, zu fragen. Weiß Ihr deutscher
Freund, welche Bedeutung das alte Lied für unsere Nation hat?«
»Na, aber
klar. Er hat einen Riecher für so was.«
»Nein, wirklich?
Was wissen Sie über die Husaren, die mutigsten Kavalleriekämpfer, Herr Deutscher?«
Kurt beugte
sich zu ihr hinüber. »Die Deutung liegt auf der Hand, Gnädigste. Die Husaren – männliches
Prinzip, das Mädchen – weibliches. Typische Elemente aller Volkslieder. Das Fensteröffnen
ist nichts anderes als eine Umschreibung der bevorstehenden sexuellen Handlung.«
Erschrocken
wich sie zurück. »Doch nicht in unseren patriotischen Liedern!«
»Gewiss,
Gnädigste.« Kurt griff ihre Hand und drückte einen Kuss darauf. »Womöglich bedeutet
es auch den Verlust der Jungfräulichkeit.«
Sie riss
ihm die Hand weg, zischte: »Ein Perverser!«, erhob sich erstaunlich schnell vom
Stuhl und lief weg.
Kurt sah
mich an. »Was habe ich falsch gemacht?«
»Erst fragen,
dann küssen.«
»Ach so,
ich werde das sofort richtigstellen.«
Wir liefen
der empörten Frau nach.
»Ich wollte
wirklich nicht unerlaubt Ihre Hand küssen«, sagte Kurt. »Ich bitte Sie um Verzeihung.«
Er bückte
sich, fasste ihre Hand und küsste sie erneut.
»Heniek!«,
schrie die Frau entrüstet. »Komm sofort her!«
Der Bürgermeister
stieg von der Bühne. Seine Ehefrau zog ihn zur Seite und redete aufgeregt auf ihn
ein. Abwechselnd fuhr sie mit der Hand über ihren dicken Bauch und ihr verschwitztes
Gesicht. Der Bürgermeister warf uns finstere Blicke zu. Zur Verstärkung winkte ich
Jan herbei. Die blonde Alix trottete hinter ihm her und gesellte sich zu unserem
Lager. Kurt widmete sich ihr. Seine Studien der polnischen Sitten waren inzwischen
fortgeschritten. Hemmungslos küsste er ihre Hand, vom Handgelenk bis
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