Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Balletttänzerin drehte sie sich um, ging ins Haus zurück und ich folgte
ihr ins Wohnzimmer. Eine noch halb volle Wodkaflasche und ein Schnapsglas auf dem
Esstisch erwarteten ihre Rückkehr. Wanda kippte den gesamten Inhalt ihres Glases
hinunter und ließ sich in einen großen Sessel fallen. Mit ihrer schmächtigen Statur
verschwand sie darin, abgesehen von den Beinen, die sie artig zusammengepresst auf
den Fußboden stellte.
»Diese alten
Möbel«, piepste sie aus der Tiefe. »Sie erinnern mich an meinen verstorbenen Gatten.
Ich werde sie für immer behalten. Was denken Sie?«
Bevor ich
antwortete, holte ich mein Notizbuch heraus. »Finde ich richtig. Und darüber reden.
Das hilft sehr.«
Wanda tauchte
auf und zeigte auf eine Kommode. »Mein Bruder sagt, ich soll das alte Gerümpel verbrennen.
Nur Holzwurmfraß. Meinen Sie das auch?«
»Nein, ich
bin ausgesprochen tierlieb. Lassen Sie den armen Holzwurm in Ruhe seine Mahlzeit
beenden.«
»Aber mein
Bruder sagt …«
»Sie waren
schließlich nicht mit Ihrem Bruder verheiratet, sondern mit dem Mann, der Frauenherzen
höher schlagen ließ. Mit einem gut aussehenden, erfolgreichen Geschäftsmann. Übrigens,
wie haben Sie ihn kennengelernt?«
Misstrauisch
sah sie mich über ihren Glasrand hinweg an. »Was soll das jetzt? Wenn Sie es genau
wissen wollen: Ich bin eine trauende Witwe.«
»Gewiss,
aber davor waren Sie eine liebende Ehefrau.«
Das gefiel
ihr. Sie nickte, senkte ihre Stimme. »Wollen Sie wissen, was ich jetzt empfinde?«
Mein Stift
ging über meinem Notizblock in Startposition. »Ich höre.«
Sie setzte
sich aufrecht und legte die Hände auf die Knie. »Roman war meine einzige große Liebe.
Als ich ihn das erste Mal sah, traf mich die Liebe wie ein Blitz, dass mir Sehen
und Hören verging. Zwischen uns kam es zu …, wie heiß das wichtige Fremdwort noch
mal? Etwas mit Ko…«
»Koitus?«
»Nein, nein.«
Sie holte ein dickes Fremdwörterbuch aus dem Regal und blätterte hektisch die Seiten
durch. »Nein, eine Seite früher. ›Koalition‹ auch nicht. Da sehen Sie, wie erschüttert
ich bin. K habe ich erst vor zwei Monaten gelernt und peng!, alles vergessen. Da,
ich habe es. Korrelation . Die Wechselbeziehung. Unsere Ehe war eine Korrelation.
Kling das nicht unglaublich vornehm? Jeden Sonntag hat mich Roman die neu gelernten
Wörter abgefragt. Bei Fehlern wurde das Taschengeld für die Woche gestrichen.« Sie
setzte sich zurück, schenkte sich Wodka nach, nippte an ihrem Glas und sagte mit
Stolz: »In sechs Monaten habe ich das ganze Buch auswendig gelernt. Toll, finden
Sie nicht?«
»Tja, es
geht nichts über eine wirksame Lernmotivation.«
»Na, eben.
Roman ist ein guter Lehrer gewesen, ich meine, als Mensch auch. ›Kultur‹, sagte
er zum Beispiel, ›ist die Frage der Entbehrung. Schlicht und einfach ist die Eleganz.‹«
Wanda hob ihre Hände und spreizte die Finger. »Nicht mal einen Ring. Die Manierlichkeit
pur. Was sagen Sie dazu, Frau Lem?«
»Schon mal
von Pygmalion gehört?«
»Selbstverständlich,
was denken Sie«, kicherte sie erfreut. »Die griechische Mythologie haben wir auch
durchgearbeitet. Sehr, sehr traurige Geschichten. Das mit Leda zum Beispiel. Wochenlang
habe ich geweint.« Sie schluchzte auf. »Ich war so glücklich mit meinem Mann.«
Die gehorsame
Schülerin ging mir langsam auf die Nerven. »Die letzte Frage, Frau Czarnecka: Wie
haben Sie Ihren Mann kennengelernt?«
Da machte
sie ein dümmliches Gesicht und schwieg. Damit sie ihre Denkkrise schneller überwand,
half ich ihr auf die Sprünge. »Bei der Arbeit vielleicht? Ich habe gehört, dass
sie früher in der Autowerkstatt Ihres Bruders gearbeitet haben. Man sagt, Sie waren
keine schlechte Automechanikerin.«
»Ach wo,
ich habe Unfallkarosserien repariert. Nichts besonders.«
Als in den
folgenden Minuten immer noch nur das Ticken der Wanduhr zu hören war, sagte ich
aufmunternd: »Und eines Tages kam ein netter Mann herein und …«
Ihre kleinen
Finger spielten mit den Fransen der Tischdecke, sie lächelte und schwieg weiter.
Ich beherrschte mich, um nicht zu schreien. Meine Stimme klang leicht genervt, aber
immer noch liebenswürdig. »Was ist, Sie erinnern sich doch, wie Ihre Liebesgeschichte
angefangen hat. Sie waren glücklich verheiratet, die Ehe war ein Gewinn für Sie,
verdammt noch mal!«
Endlich
fand sie Worte: »Was wollen Sie von mir?«
»Ihre Geschichte
hören, eine schöne Liebesgeschichte«, sagte ich beschwichtigend, aber es war
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