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Vom Schlafen und Verschwinden

Vom Schlafen und Verschwinden

Titel: Vom Schlafen und Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hagena
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Ungezähmtes, das ich selbst nicht besaß, aber unbedingt erringen wollte. In Freiburg begann ich sogleich eine wilde und ungezähmte Affäre mit einem Arzt ohne Grenzen, aber da er verheiratet war, hielt sich seine Entfesseltheit in Grenzen, die ich nicht hinnehmen konnte. Und so brach ich nach zwei Monaten alles ab.
    An dem Morgen, als wir uns trennten, nahm ich meine nasse Weißwäsche aus der Maschine, packte sie in den Koffer und fuhr mit dem ICE nach Karlsruhe und mit der Straßenbahn weiter nach Grund. Es waren Semesterferien,nichts hielt mich mehr in Freiburg, dieser beklemmenden Stadt, die so eng war, dass man sich nicht umdrehen konnte, ohne anzuecken. Das Dreiländereck: Schweiz, Frankreich, der Schwarzwald, überall stieß man an. Bei schlechtem Wetter senkte sich der Himmel herab, und die Berge rückten näher. Alle Häuser, ja selbst die Telefonzellen hatten Butzenscheiben, und der Blick hinaus war hundertfach eingerahmt. Eingerahmt war nur ein anderes Wort für vergittert und begrenzt.
    Meine nassen Unterhosen und ich erreichten Grund. Zu Hause wusste niemand etwas davon, dass ich kommen würden, und so war auch niemand da, als ich an der Haustür klingelte. Einen Schlüssel hatte ich nicht. Ich ging in den Garten, wo die Wäschespinne stand, öffnete meinen Koffer und hängte die Wäsche auf. Schwer hing sie in der flirrenden Hitze. Im zweiten Semester trug ich noch immer die Unterhosen, die mir meine Mutter gekauft hatte.
    Als Heidrun von ihrem Waldlauf zurückkam, saß ich auf der Terrasse. Sie war ganz verschwitzt, runzelte die Stirn und fragte:
    – Ist was passiert?
    – Nein, eigentlich nicht. Ich wollte doch nicht mehr die Semesterferien über dort bleiben.
    – Schön. Wir freuen uns.
    Sie schaute etwas ratlos, aber bohrte nicht weiter. Es reichte ihr zunächst, dass ich nicht humpelte, nicht blutete, nicht weinte. Sie ging hinters Haus, schob die schwarze Mülltonne zur Seite, wo sie den Schlüssel versteckte, wenn sie waldlaufen ging. Ich folgte ihr. Sie sah sich meine nasse Wäsche an, schaute zurück zu mir, lächelte mit fest geschlossenen Lippen und nickte auf eine Weise, die Verständnis, Mitleid und Aufmunterung zugleich ausdrücken sollte, tatsächlich jedoch ein wenig verlegen wirkte, und so schaute ich ausdruckslos zurück. Sie sagte:

    – Du weißt doch, wo der Schlüssel liegt.
    – Ich wusste nicht, dass du laufen bist.
    – Gut, dass du da bist, Ellen. Jetzt ruhst du dich aus.
    Mehr sagte sie nicht, aber in ihrem »jetzt ruhst du dich aus« hatte sie mir auf ihre Weise zu verstehen gegeben, dass ihr bewusst war, dass ich trotz fehlender äußerlicher Symptome Schmerzen hatte. Anderen mochte ihr Verhalten kalt vorkommen oder distanziert, aber ich spürte, dass sie mit mir litt. Sie war nicht begierig, Einzelheiten zu erfahren. Vor Einzelheiten fürchtete sie sich, und vor Einzelheiten mussten Joachim und ich sie beschützen. Doch Heidruns Grenzen ließen mir mehr Raum als die meines beschränkten Liebhabers oder die einer kleinen Stadt voller schmerzlicher Erinnerungen. Ich folgte ihr ins Haus.
    Nach dem Duschen fing sie sofort an zu backen, Rhabarberkuchen auf dem Blech, mit Mürbeteig und viel Schlagsahne. Der Rhabarber blutete pink in den dünnen Teig und weichte ihn durch. Ich musste ihn fast nicht kauen. Er war so sauer, dass mein Mund ganz klein und meine Zähne rau wurden. Die Sahne hatte Heidrun mit Zucker und Vanille versehen, dadurch wurde die Säure zwar nicht gemildert, aber auf besondere Weise ergänzt.
    – Die Sahne ist in Wirklichkeit gar nicht grau, sagte Heidrun und schaute mich durchdringend, fast bittend an.
    – Wenn du genau hinschaust, siehst du, dass es lauter schwarze Vanillepunkte sind. Die Sahne selbst ist nach wie vor weiß.
    Sie schien mich trösten zu wollen, doch mehr als der Rhabarberkuchen sagen konnte, gab es vielleicht gar nicht zu sagen. Wir sagten jedenfalls nichts weiter, aber um Heidrun zu trösten, aß ich drei Stücke mit Schlagsahne.
    Meine warme Milch mit Honig trinke ich im Stehen. Von der Küche führt eine Glastür auf einen kleinen Balkon, und dieser geht hinaus auf einen Innenhof, an den andere Stadthäuser grenzen. Ich lehne meine Stirn an die Scheibe und blicke auf die Mauern und die anderen Balkone. Mein Balkon ist hässlich, leere Sprudelkisten stehen darauf, ein Wäscheständer, zwei Plastikstühle, einer davon kaputt, die leeren gelben Netze alter Meisenknödel hängen am Geländer. Alle anderen Balkone, die ich sehen kann,

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