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Vom Schlafen und Verschwinden

Vom Schlafen und Verschwinden

Titel: Vom Schlafen und Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hagena
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schauten zu, wie er flog, und hörten, wie er schrie.
    Andreas und ich stiegen ins Auto und fuhren hinunter zu dem Punkt, den Lutz mit Andreas verabredet hatte. Wir sprachen nicht, und je länger unser Schweigen dauerte, desto unwiderruflicher wurde es.
    Als wir unten ankamen, stellten wir das Auto an der Straße ab und gingen zu der Wiese, auf der Lutz landen wollte. Er verringerte seine Höhe, machte mehrere Wenden, und sogar aus der Entfernung konnten wir sehen, wie er sich konzentrierte, sein ganzer Körper war angespannt. Als er schon niedrig und sehr langsam war, riss er das Trapez nach oben und stand schließlich aufrecht auf der Wiese. Andreas und ich klatschten, es klang dünn, und wir hörten schnell damit auf. Lutz rannte auf uns zu. Kurz bevor er uns erreichte, warf er seinen Drachen geschickt ab und riss sich die Balaclava vom Kopf. Seine langen blonden Haare leuchteten. Er schwenkte die schwarze Wollmaske und lachte. Ich musste auch lachen, er sah so glücklich aus. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Andreas mich von der Seite musterte. Ich schaute nicht zurück. Lutz brach in einen Singsang aus, rannte auf uns zu und hüpfte an Andreas hoch. Mit den Knien klemmte er sich an Andreas’ Hüfte und drückte ihm einen schmatzenden Kuss auf die Backe. Andreas lachte, stieß ihn weg und rubbelte sich mit gespieltem Ekel das Gesicht am Ärmel ab und den Ärmel an meiner Schulter. Ich spürte seine Augen auf mir. Ich stieß meinerseits mit gespieltem Ekel Andreas’ Arm weg und erwiderte seinen Blick nicht.

    Inzwischen war Lutz von Andreas heruntergesprungen und kam auf mich zu. Es machte mich verlegen, dass er mich unverwandt ansah, während er mit drei langen Schritten den Abstand zwischen Andreas und mir zurücklegte. Ich wusste, was jetzt passieren würde. Mein Herz schlug, mein Atem wurde kurz. Ich wich zunächst ein paar Schritte zurück, vielleicht vor Lutz, vielleicht um Abstand zu Andreas zu gewinnen. Ich hatte Andreas doch gerade geküsst, es hatte sich gut angefühlt, ich wollte es unbedingt noch mal machen. Wieso jagte mir das Herz davon, da Lutz mit seinen langen Beinen so entschlossen auf mich zuschritt? Und schon umfasste Lutz meine Taille mit beiden Händen und beugte sich zu mir herunter. Ich war noch nie so nah an einem Mann gewesen, der sich wirklich zu mir herunterbeugen musste, aber Lutz tat es, und ich schaute unwillkürlich zu ihm hinauf. Da lächelte er mich an, ein warmes Lächeln, aber ich konnte das Begehren in seinen Augen erkennen, und das war ernst. Behutsam hob er die Faust an mein Gesicht, klemmte mein Kinn zwischen Zeige- und Mittelfinger und küsste mich auf den Mund, den gerade erst Andreas geküsst hatte.
    Es war kein flüchtiger Kuss. Lutz nahm sich Zeit dafür, er hielt kurz inne, wie um zu prüfen, ob ich ihm schmeckte, dann küsste er mich gleich noch einmal. Erst wollte ich nicht, Andreas stand neben uns und sah zu, aber Lutz kümmerte sich nicht darum, im Gegenteil. Als er merkte, dass ich mich sträubte, bekam sein Kuss etwas Forderndes. Ich krallte mich in seine Oberarme wie zuvor in die Dachpappe der Rampe. Lutz riss mich so dicht an sich, dass ich spürte, wie hart er geworden war.
    Plötzlich gab es ein Geräusch hinter uns, wie ein Schrei, und ich dachte erst, Andreas habe geschrien, aber es war der Drachen, der auf der Wiese lag. Ein Windstoß war unter das Segel gefahren und hatte es auf ein Gestrüpp gehoben. Mitder nächsten Bö riss ein spitzer Ast, der sich in das Gewebe gebohrt hatte, einen Schlitz in die Tragfläche. Lutz ließ mich los und rannte hinüber zum Drachen.
    Fluchend faltete er den Schirm zusammen, es ging schneller, als ich dachte. Ohne Andreas oder mich um Hilfe zu bitten und ohne dass einer von uns beiden von sich aus mit angefasst hätte, packte er den Drachen zusammen, trug ihn zum Auto und schnallte ihn auf dem Dach fest. Andreas hatte sich für den Rückweg nach hinten gesetzt, er sagte auf der ganzen Fahrt kein Wort, irgendwann drehte ich mich um, da hatte er die Augen zu, er schien zu schlafen, aber vielleicht tat er auch nur so. Er sah blass aus, die bläulichen Schatten unter den Augen waren mir vorher nicht aufgefallen. Lutz und ich sprachen nicht viel. Ich schaute hinaus, Lutz rauchte bei offenem Fenster. In Grund ließen wir Andreas zuerst raus. Er sagte kein Wort, weder zu Lutz noch zu mir, stieg einfach nur aus dem Auto und ging ins Haus.
    Schweigend fuhren Lutz und ich zu mir. Als ich aussteigen wollte, griff er über meinen

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