Vom Tod verführt: Roman (German Edition)
SIEHST «, betonte der Tod, als ob es eine besondere Bedeutung habe. » Du schaust durch sämtliche Ebenen der Existenz, du siehst die Wahrheit.«
Nichts in diesem Raum existiert wirklich? Nun ja, einiges existierte schon: der Klapptisch, die Markierungen, die die Cops gesetzt hatten. In meiner Schattensicht verrotteten sie, weil sie real waren.
Ich trat vor, doch knapp vor dem inaktiven Kreis blieb ich stehen. Er war nicht aufgehoben, sondern gewaltsam durchbrochen worden. Ich konnte den Nachhall, der sich durch die Überreste des Kreises wob, immer noch spüren. Das Ritual ist unterbrochen worden?
Ich trat über die Begrenzung, und es war, als würde ich in einen Strudel gezogen. Die dunklen Wogen der bösen Energie, die bei meinem ersten Besuch gegen mich gebrandet waren, erschienen mir wie sanfte Regentropfen im Vergleich zu dem gewaltigen Sturm, der nun über mich hereinbrach. Mein Körper erzitterte unter der Wucht. Ich sah die widerwärtigen schwarzen Fäden und gefährlichen roten Knoten von Magie in der Luft, und einen Moment lang dachte ich, ich wäre in die ätherische Ebene geschleudert worden. Doch es war einfach nur unglaublich viel Energie vorhanden.
Ich wagte einen weiteren Schritt nach vorn. Schwarze und rote Tentakel wanden sich an mich heran, als ob die Magie mich spürte. Einer der Tentakel berührte mich, und ein schwarzer Faden schlängelte sich in meinen Stiefel, um sich um meine nackte Wade zu winden.
Als die Magie den kümmerlichen Rest meiner persönlichen Schutzschilde angriff, pulsierte Schmerz in meiner Haut, verwandelte sich in ein Brennen. Ich floh aus dem Kreis.
Der Tod kniete sich hin, legte eine Hand auf mein Bein, und die Magie löste sich auf. Zurück blieb lediglich ein dumpfes Pochen.
» Wir werden sie hindurchführen müssen«, meinte er und blickte den grauen Mann an.
» Ich hatte befürchtet, dass du das sagen würdest.« Der graue Mann hielt seinen Stock vor sich, als ob er damit das Böse abwehren wolle. Dann trat er in den Kreis. » Jetzt kommt schon. Die Zeit drängt.«
Ich sah den Tod unsicher an.
» Geh genau dort, wo er geht, und bleib dicht hinter ihm. Ich halte dir den Rücken frei«, sagte er.
Okay. Sollte mich der Tod noch einmal um einen Gefallen bitten, dann würde ich mir vorher die Details genauestens erklären lassen. Ich fiel in Gleichschritt mit dem grauen Mann, betrat den Kreis dort, wo er ihn betreten hatte. Und wieder stürmte die Magie gegen meine Sinne an, hinterließ klebrige Spuren, doch diesmal wurde ich nicht von den dunklen Fäden angegriffen. Sie schwebten um uns herum, wichen aber vor dem grauen Mann beiseite und öffneten einen Pfad vor uns. Der Tod, ganz dicht bei mir, ging rückwärts, hielt die Handflächen nach außen gerichtet. Als würden sie beide einen Schutzraum um uns wirken.
» Hey, wer sind Sie?«, rief einer der Cops. Der Tod und der graue Mann blieben nicht stehen, weshalb ich es auch nicht tat.
» Sie beide dürfen sich hier nicht aufhalten!«
Beide? Können sie den Tod denn sehen?
» Alex Craft!« Das war ganz eindeutig Falins Stimme.
Ich ging weiter.
» Sir, sie sind gerade durch den Tisch gegangen!«
Oje. Er meinte wohl den Tisch mit dem Champagner, der für mich nun unsichtbar war.
» Was, zum Teufel, soll das?« Das war wieder Falin.
Die Cops, die uns am nächsten standen, zogen ihre Waffen.
» Nicht schießen!«, brüllte Falin. » Alex, kommen Sie hier herüber. Sofort!«
Wir standen nun vor dem Bett beziehungsweise dem Tisch, wie meine Schattensicht ihn mir zeigte.
» Und jetzt?«, flüsterte ich.
» Hol sie aus ihrem Körper heraus«, erwiderte der Tod.
Und wie, verdammt noch mal, soll ich das anstellen? Ich betrachtete den Leichnam und zuckte zusammen, als ich die leuchtenden Glyphen bemerkte, die in ihren Körper geschnitten worden waren. Vorhin, als ich aus der Entfernung nur all das Blut und die Wunden gesehen hatte, hatte ich noch geglaubt, dass sie einer rohen, sinnlosen Attacke zum Opfer gefallen wäre. Doch nun begriff ich, dass Absicht dahintersteckte, dass jeder Schnitt ganz präzise gesetzt worden war. Eins der Symbole wiederholte sich immer wieder. Die fremdartigen Glyphen ähnelten denen auf Colemans Leiche, waren gleichzeitig aber auch ganz anders.
Noch während ich sie ansah, wurde der Widerschein ihrer Seele schwächer, gleichzeitig leuchteten die Glyphen kräftiger auf.
Der graue Mann packte mich am Arm. » Wenn du sie wirklich befreien kannst, dann tu es jetzt.«
Ich nickte.
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