Vom Umtausch ausgeschlossen
Nägel machen?«, schlage ich vor. »Ich habe alles dafür hier.«
»Meine Nägel machen?«, wiederholt Jess ungläubig. »Becky... wir befinden uns auf einem Berg.«
»Ja, ich weiß! Genau deswegen ja! Das ist nämlich superstrapazierfähiger Lack, der alles aushält. Guck mal!« Ich zeige ihr die Flasche mit dem Nagellack. »Das Model auf dem Etikett klettert einen Berg hoch. «
»Unglaublich.« Jess nimmt mir die Flasche ab. »Und darauf fallen die Leute rein?«
»Jetzt komm schon! Was sollen wir denn sonst machen?« Und dann füge ich unschuldig hinzu: »Ich meine, ist ja nun nicht so, als wenn wir irgendetwas zu tun hätten, was Spaß macht, wie zum Beispiel unsere Buchführung...«
Jess‘ Augen blitzen mich an.
»Okay«, sagt sie. »Du hast gewonnen. Mach mir die Nägel.«
Während um uns herum das Gewitter tobt, lackieren wir uns gegenseitig die Nägel glitzerrosa.
»Hey, das sieht toll aus!«, freue ich mich, als Jess mit meiner linken Hand fertig ist. »Das könntest du glatt professionell machen!«
»Danke«, sagt Jess trocken. »Jetzt ist der Tag ja gerettet.«
Ich wedele mit den Fingern im Licht der Taschenlampe herum und hole dann die Puderdose heraus, um Jess etwas vor dem Spiegel zu demonstrieren.
»Du musst dir angewöhnen, die Finger in einer nachdenklichen Geste zum Mund zu fuhren«, erkläre ich. »Auch, wenn du einen neuen Ring oder ein neues Armband hast. Damit die Leute es sehen können.« Ich reiche ihr den Spiegel, doch sie wendet sich plötzlich verschlossen ab.
»Nein danke.«
Ich packe die Puderdose weg und denke angestrengt nach. Ich möchte sie fragen, wieso sie so eine ausgeprägte Aversion gegen Spiegel hat. Aber ich muss das irgendwie taktvoll anstellen.
»Jess...«, sage ich schließlich.
»Ja?«
»Wieso hast du so eine ausgeprägte Aversion gegen Spiegel?«
Außer dem Pfeifen des Windes ist vorerst nichts zu hören. Dann sieht Jess auf.
»Weiß nicht«, sagt sie. »Vielleicht weil mein Vater mir jedes Mal, wenn ich als Mädchen in einen Spiegel sah, eintrichterte, dass ich nicht so eitel sein soll.«
»Eitel?« Ich reiße die Augen auf. »Jedes Mal?«
»Fast jedes Mal.« Sie zuckt mit den Schultern, dann sieht sie mich an. »Wieso? Was haben denn deine Eltern gesagt?«
»Also, meine Eltern haben immer gesagt...« Das ist mir jetzt ein bisschen unangenehm. »Sie haben mir immer gesagt, dass ich der bezauberndste kleine Engel bin, der jemals vom Himmel auf die Erde gefallen ist.«
»Aha.« Jess zieht die Schultern hoch, als wolle sie sagen »Da kann man mal sehen«.
Ich betrachte eine Weile meine Fingernägel.
»Mann, Jess, du hast wirklich Recht«, sage ich dann auf einmal. »Ich bin wirklich verwöhnt. Meine Eltern haben mir immer alles gegeben. Ich musste nie auf eigenen Beinen stehen. Nie. Es war immer irgendjemand für mich da. Mum und Dad... dann Suze... dann Luke.«
»Ich musste von Anfang an auf eigenen Beinen stehen«, erzählt Jess. Ihr Gesicht liegt im Dunklen, so dass ich ihre Miene nicht ausmachen kann.
»Klingt, als wäre dein Vater ziemlich... hart«, wage ich mich hervor.
Jess wartet eine Weile mit ihrer Antwort.
»Mein Vater hat nie Gefühle gezeigt. Er hat uns nie gesagt, wenn er stolz auf uns war. Obwohl er es war. Aber in unserer Familie redet man eben nicht wie du von früh bis spät über alles Mögliche...«
Ein Windstoß reißt die eine Zeltecke los und peitscht einen Schwung Regen ins Innere. Jess schnappt sich die Ecke und greift nach einem Hering.
»Und ich bin genauso«, erklärt sie, während sie den Hering mit einem Stein wieder in die Erde hämmert. »Nur, weil ich bestimmte Sachen nicht sage, heißt das nicht, dass ich sie nicht fühle.« Sie dreht sich zu mir und sieht mir mit einiger Überwindung in die Augen. »Becky, ich wollte ganz bestimmt nicht unfreundlich sein, als ich zu euch zu Besuch kam. Und schon gar nicht... kalt.«
»Das hätte ich nie sagen dürfen!«, werfe ich zutiefst bedauernd ein. »Es tut mir so Leid -«
»Nein«, fällt Jess mir ins Wort. »Mir tut es Leid. Ich hätte mir mehr Mühe geben können. Ich hätte mitmachen können.« Sie legt den Stein wieder hin und sieht ihn ein paar Sekunden an. »Ehrlich gesagt, war ich ziemlich genervt von dir.«
»Luke meinte, du hättest dich von mir überrumpelt gefühlt.«
»Ich dachte, du spinnst«, sagt Jess, und ich muss lächeln.
»Nein«, sagt sie. »Im Ernst. Ich dachte, du wärst verrückt. Ich dachte, deine Eltern hätten dich aus irgendeiner Art
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