Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
halten es für eine ihrer gröÃten Lebensaufgaben, sich um ihre Familien zu kümmern. Sie tun es gern und kämen niemals auf die Idee, ihre Nächsten in Altersheimen unterzubringen. Andere tun es, weil sie sich moralisch dazu verpflichtet fühlen. Innerlich wehren sie sich vielleicht, klagen hin und wieder auch laut über die Kräfte, die eine solche Pflege kostet, die finanziellen Probleme, die entstehen können, die Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Wieder andere finden sich in die Rolle der Pflegenden, weil sie schlicht keine andere Wahl haben. Das Pflegeheim ist unbezahlbar, anderweitige Hilfe steht nicht zu Verfügung, die sozialen Dienste sind schlecht oder einfach nicht da, wo sie sein sollen. In Deutschland werden 1,62 Millionen Menschen von Verwandten zu Hause gepflegt, manchmal mit Unterstützung durch ambulante Dienste, manchmal auch nicht. Die meisten Betroffenen ziehen diese Variante vor, genauso wie die Pflegenden: 69 Prozent von ihnen halten die Versorgung zu Hause für die bessere Lösung.
AuÃerhalb ihrer Familie kennt kaum jemand meine Freundin Luise. Sie ist eine sehr gebildete und höchst intelligente Frau, die, wie so viele ihrer Generation, ihr Studium aufgab, um zu heiraten. Sie wurde Hausfrau und zog drei Kinder groÃ. Sie interessierte sich ihr Leben lang für Bücher, Musik und Kunst, aber sie kam nie auf die Idee, Arbeit in diesem Bereich zu suchen. Gerade als ihre Kinder aus dem Haus waren und sie ihre Freiheit hätte genieÃen können, wurde ihr Mann chronisch krank. Zwanzig Jahre lang kümmerte sie sich aufopferungsvoll um ihn. Mehrmals in der Woche fuhr sie ihn zum Krankenhaus, wo er behandelt wurde, sie organisierte den gesamten Haushalt, sie kochte und putzte. Das Haus verlieà sie nur, um schnell einzukaufen, um kurz zur Bank oder zur Post zu gehen, ansonsten war sie immer an seiner Seite. Als er schlieÃlich starb, war sie fünfundsiebzig und hatte selbst gesundheitliche Probleme. Sie bereue nichts, sagte sie mir, sie hat es immer gern getan, aus tiefer Liebe zu ihrem Mann, und sie wäre nie auf die Idee gekommen, nach einer anderen Lösung zu suchen. Doch sie weiÃ, dass ein echter Neustart für sie nun nicht mehr in Frage kommt. »Ich möchte jetzt nur noch Ruhe haben und mit meinen Erinnerungen leben. Ich möchte meine Kinder und Enkelkinder um mich haben und das genieÃen, was mir noch bleibt.« Wer kann ihr das verdenken?
Frauen wie Luise, die ihre späten Jahre darauf verwenden, ihre Lieben zu versorgen, sind stille Heldinnen, die wir für ihre Leistungen noch mehr bewundern müssen als Frauen, die im Alter eine zweite Karriere egal welcher Art aufbauen. Der Staat spart aufgrund ihrer Arbeit Milliarden â Geld, das letztendlich von uns selbst kommt. Trotzdem leben diese Frauen oftmals im Schatten der Gesellschaft, sind einsam und kaum sichtbar. Nur wenige, manchmal nicht einmal die eigenen Verwandten, würdigen ihren Einsatz. In einer idealen Welt würde man ihnen die Anerkennung zollen, die sie verdient haben, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Im Pflegebereich tut sich eine Menge, keine Frage. Das Bundesministerium für Gesundheit hatte 2011 zum Jahr der Pflege ausgerufen und verschiedene Initiativen gestartet, um das Image der Pflegeberufe zu verbessern. Die Informationspolitik des Ministeriums hat sich verbessert â es ist nicht schwer, Rat in Sachen Pflege einzuholen und sich über die verschiedenen Möglichkeiten zu informieren.
Viele Pflegende, besonders diejenigen, die dabei noch einen Beruf ausüben, sind überlastet. Aline, eine Freundin von Sissi, arbeitet in einer Werbeagentur. Sie arbeitet immer bis spät am Abend und fährt von dort anschlieÃend direkt zur Wohnung ihrer dementen Mutter. Sie kocht und putzt und kümmert sich um alles. Sie verbringt alle Wochenenden und Feiertage dort, sie hat überhaupt keine Zeit für sich oder ihre Freunde. Sie geht praktisch nie essen oder ins Kino. Kein Wunder, dass sie überfordert und ständig erschöpft ist. Das wiederum beeinträchtigt ihre Arbeit. Da ihre Mutter zwar dement, aber körperlich recht fit ist, kann niemand sagen, wie lange sie noch leben wird. Aline ist voller Sorge, dass sie ihren Job verlieren könnte. Da sie selbst schon über fünfzig ist, dürfte es schwierig sein, eine neue Stelle zu finden.
Alines Situation ist heutzutage leider alles andere als
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