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Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Titel: Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clough Patricia
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Raum. Niemand schien sich zu kümmern. Doch das änderte sich, als nach einem von Inges Vorträgen eine Gruppe von Studenten der Museumswissenschaft zu ihr kam und sie bat, bei einer Ausstellung über Otto Weidt und seine Werkstatt zu helfen, die sie als Diplomarbeit organisieren wollten. Es dauerte nicht lange, da war der Schuttraum aufgeräumt und eine Ausstellung eingerichtet. Der Erfolg war so groß, dass sie viele Monate lang geöffnet blieb. Immer waren zwei Studenten da, die ihre Freizeit für die gute Sache opferten. Trotzdem schienen Inges Vorstellungen bezüglich eines permanenten Museums sehr unrealistisch – besonders, da das Gebäude verkauft werden sollte. »Es war ein nie enden wollender Kampf«, erzählte sie mir. Doch dann besuchte der damalige Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, die Werkstatt und erklärte, dass an diesem Ort ein staatlich gefördertes Museum entstehen solle. Nachdem die Blindenwerkstatt Otto Weidt anfangs dem Jüdischen Museum zugeordnet war, ist sie nun ein Teil der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die Finanzierung ist auf lange Sicht gesichert.
    Wer in den Hof der Rosenthalerstraße 39 tritt, hat das Gefühl, in eine vergangene Zeit einzutauchen. Man hat das Werkstattgebäude am Ende des Hofs so erhalten, wie es während des Krieges war: schmutzig und heruntergekommen. Auch innen ist es dreckig und kahl. Inge bietet Führungen für Schulklassen und andere Gruppen an, sie ist mindestens zwei Mal die Woche dort. Sie hat eine beinahe fröhliche, sehr witzige Art, ihre Geschichte zu erzählen, die auch nach der tausendsten Wiederholung noch frisch und klar wirkt, als würde sie sie gerade zum ersten Mal erzählen.
    Auch nachdem das Werkstatt-Museum fertig war, hatte Inge weitere Ideen. Sie schlug vor, in weiteren Räumen um den Hof herum eine Gedenkstätte Stiller Helden einzurichten, die ebenfalls Teil der Gedenkstätte Deutscher Widerstand wurde. Eine beeindruckende interaktive Ausstellung erinnert namentlich an diejenigen Deutschen, die den Juden geholfen und sie versteckt haben. Von den sieben- bis zehntausend Juden, die während des Dritten Reichs in Berlin versteckt waren, haben tausendsiebenhundert überlebt – nicht zuletzt wegen der Stillen Helden. Eine Stiftung hat Inge auch gegründet. Sie unterstützt Forschungsvorhaben, die sich mit der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland auseinandersetzen. Ganz nebenbei schreibt sie weiterhin Bücher und Artikel und hält Vorträge. »Ich arbeite heute viel mehr als damals bei Maariv«, erzählt sie und lacht. Mit neunzig Jahren ist sie so enthusiastisch wie eh und je, sie sprüht vor Energie. Trotzdem würde sie gern etwas kürzertreten, besonders bei der Arbeit im Büro.
    Inge, die sich über drei Jahrzehnte für ihre Sache eingesetzt hat, ist es zu verdanken, dass unzählige deutsche Schulkinder einen Eindruck davon erhalten haben, wie es war, als Jüdin im Dritten Reich aufzuwachsen. Ihr Buch »Ich trug den gelben Stern« ist längst ein Klassiker, es wird in vielen Schulen eingesetzt. Das Theaterstück wurde mehr als dreihundert Mal aufgeführt, auch auf vierzig Bühnen außerhalb Berlins. Doch was am wichtigsten ist: Otto Weidt und den anderen Deutschen, die ihr Leben riskiert haben, um Juden zu helfen, ist nun die Anerkennung zuteilgeworden, die sie verdient haben.

8
HINGABE
    Â»Das ist ja alles sehr schön«, könnten Millionen von älteren Frauen sagen, die ermutigt werden, eine neue, aufregende Phase ihres Lebens zu beginnen. »Doch was ist eigentlich mit mir?«
    Ja, was ist eigentlich mit all den Frauen, die mehr oder weniger freiwillig zu Hause bleiben, um jemanden aus der Familie zu pflegen? Ein Ergebnis der höheren Lebenserwartung ist, dass Frauen (immer noch sind es meistens Frauen) mit fünfzig, sechzig oder auch siebzig Jahren für ihre alten Eltern sorgen müssen, die wiederum über achtzig oder gar über neunzig Jahre alt sind. Und dann sind da noch die Ehemänner. Manchmal sind selbst die Kinder pflegebedürftig.
    Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine elegante Lösung des »Altersproblems«. Die Gesunden kümmern sich um die Kranken, die Junggebliebenen um die richtig Alten, und der Staat tut, was er kann, um das System zu unterstützen. Nur lässt sich das Leben nicht immer so ordentlich in Schemen pressen.
    Einige Menschen

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