Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
die drei feierten sogar Weihnachten zusammen. Doch dem Sohn gelang es niemals, seinen eigenen Weg zu gehen. Als sie siebzig war, starb ihr zweiter Mann, den sie nie geheiratet hatte. Ihr Ex-Mann wurde zur selben Zeit von seiner zweiten Frau verlassen. Also zogen die drei wieder zusammen. Der längst erwachsene Sohn lebt noch immer bei seinen Eltern, er hat es im Leben zu nichts gebracht. Die Mutter fühlt sich schuldig, sie unterstützt und umsorgt ihn. Zweifellos wird er von den Eltern abhängig bleiben, bis sie sterben, es sei denn, dass es allen dreien gelingt, sich zu emanzipieren â ein eher unwahrscheinliches Szenarium.
Ich will nicht behaupten, dass das Geben und Akzeptieren von Pflege in jedem Fall krankhaft ist â im Gegenteil. Die meisten Menschen, egal, ob Kinder, Eltern oder Ehepartner, übernehmen die Pflege aus Verantwortungsbewusstsein, aus Zuneigung und Anstand, und es gelingt ihnen, ihr Leben danach einzurichten. In einigen Fällen jedoch, pflegt man die Lieben, besonders die Kinder, aus einem unbewussten Bedürfnis heraus. Man versucht, einen Lebenszweck aufrechtzuerhalten und auch dann noch die Verantwortung zu tragen, wenn es eigentlich nicht mehr nötig ist und man längst loslassen sollte.
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SEX
Nirgends sind die Vorurteile älteren Frauen gegenüber gröÃer als im Bereich Sex. Wenn davon die Rede ist, dass Frauen ihr Ablaufdatum erreicht haben, dass sie nicht mehr »frisch« sind oder Ãhnliches, dann zeigt sich eine traditionelle Haltung, die jüngere Frauen als begehrenswert, ältere als wertlos einordnet. Einige Männer dagegen gelten mit zunehmendem Alter, wenn das erste silberne Haar aufschimmert, als besonders attraktiv. Bei Frauen, egal, wie elegant und vornehm sie auftreten, ist das beinahe undenkbar. Man kann tun, was man will, schlieÃlich landet man doch in der GroÃmutter-Kategorie: Man gilt als alt, geschlechtslos, unfruchtbar, und nur noch den Enkelkindern verpflichtet. Dass hier mit zweierlei Maà gemessen wird, kommt besonders gut in einem beliebten, leider unausrottbaren Witz zum Ausdruck: Dass ich gerade GroÃvater geworden bin, stört mich überhaupt nicht. Aber dass ich im Bett neben einer GroÃmutter liegen muss â¦
Die gängige Erklärung für dieses Missverhältnis lautet, dass Männer â zumindest einige â bis ins hohe Alter zeugungsfähig sind, während Frauen nach den Wechseljahren nicht mehr fruchtbar sind. Inzwischen wissen wir, dass viele Frauen praktisch bis zum Ende ihres Lebens einen Orgasmus haben können, während Männer oft schon im mittleren Alter Potenzprobleme bekommen. Ob das auch irgendwann Teil der Gleichung wird?
Trotz alledem ist nicht zu übersehen, dass in den letzten Jahren mit vielen überkommenen Vorstellungen aufgeräumt worden ist. Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien hat gezeigt, dass Frauen in unserer Zeit immer länger sexuell aktiv bleiben, oft bis weit in die Siebziger und Achtziger hinein. Und nicht nur das: Viele geben an, dass der Sex mit dem Alter immer besser wird. Diese Studien beziehen sich auf Frauen mit Partnern, doch auch von alleinstehenden Frauen weià man, dass viele gern sexuell aktiv wären.
Natürlich gibt es auch genügend Frauen, die einfach »mit der ganzen Sache« abgeschlossen haben. Einige, die vielleicht aus kulturellen oder psychologischen Gründen kein zufriedenstellendes Sexualleben hatten, oder weil die Beziehung einfach nicht stimmte, zeigen sich darüber auch erleichtert. Die groÃe Mehrheit aber, besonders unter den Alleinstehenden, machen Frauen aus, die unbewusst dem Mythos aufgesessen sind, dass in dieser Hinsicht nichts Neues mehr auf sie zukommen wird. Sie nehmen es hin, driften durch ihre späten Jahre, und nur gelegentlich gedenken sie der halb bereuten, halb vergessenen emotionalen und erotischen Turbulenzen ihrer Vergangenheit.
Gerade solche Frauen fallen manchmal aus allen Wolken, wenn sich in ihrem Leben plötzlich eine sexuelle Möglichkeit auftut, sie Liebe oder physische Anziehung spüren, die in ihrer Heftigkeit den Erregungen der Jugend in nichts nachsteht. Während ich mit einer Freundin für ein Buch recherchierte, das in Italien erschienen ist, fanden wir eine bemerkenswert groÃe Anzahl von Frauen über siebzig, die Affären oder wilde sexuelle Abenteuer hatten. Und diese schienen offenbar viel schöner zu sein als alles, was sie in ihrer
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