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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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nach zehn Tagen von der Firmenleitung entlassen, da er unselbstständig und langsam arbeitete. Nach seiner ersten stationären Aufnahme in der Psychiatrie wurde S. von einem betreuten Wohnheim des Psychosozialen Dienstes (PSD) in Wien übernommen. Seit 1994 bewohnte er eine 23 Quadratmeter große Gemeindewohnung, zur Mutter hatte er ständigen Kontakt. Er führte ein zurückgezogenes Leben in seiner Wohnung, abgelöst von stationären Aufenthalten im Krankenhaus. Mit seinem Alltag, der vorwiegend aus Haushaltstätigkeiten und Besuchen im PSD bestand, kam er unterschiedlich gut zurecht, phasenweise war er überfordert.
    Seine Krankengeschichte entwickelt sich konsequent: Im Oktober 1976 stellte der Vater S. wegen „Kontaktstörungen, Kontaktarmut, Hemmung und Ängstlichkeit“ an der Universitätsklinik vor. Bei der Untersuchung, so die Akte, „gab sich der Patient völlig anders als in der Anamnese beschrieben. Er war extrem anhänglich, ja geradezu kontakthungrig und liebesbedürftig. Er zeigte größtes Interesse für den Test, war kooperativ. In keiner Weise trat ängstliches oder gehemmtes Verhalten auf. Das Kind arbeitet selbstständig, fasst rasch auf und ist konzentriert.“
    Ab Februar 1987 war S. für etwa eineinhalb Jahre an dieser Klinik in ambulanter Behandlung. S. berichtet von seiner damaligen „Mundangst“. Damit ist die Angst gemeint, man könnte über seinen Mund lachen. Er litt auch an anderen eigenartigen Ängsten, z. B., dass er Kaffeetassen beim Absetzen zerbrechen könnte.
    Im September 1991 begannen regelmäßige stationäre Aufnahmen: Der Patient wurde im stuporösen Zustand (körperlich regungslos, nicht kontaktierbar) eingeliefert. Er erklärte später, dass er das Gefühl gehabt habe, Gott schaffe ihm an, er solle sich ruhig verhalten, dann werde er erlöst. Dies habe er dann auch befolgt.
    Im Mai 1992 folgte der zweite stationäre Aufenthalt, wieder hatte er die Stimme Gottes gehört. Diese habe ihm gesagt, dass er brav folgen solle, dass es für ihn keine Ausreden gebe. Darüber hinaus habe er Angst vor dem Sterben gehabt und davor, dass er verrückt werden und dann jemandem etwas antun könne. Teilweise hätten ihm die Stimmen auch Befehle gegeben, z. B., dass er „durchdrehen“ solle. Ein Monat später folgte der nächste Aufenthalt: S. hatte erneut einen massiven Erregungszustand sowie bedrängende akustische Halluzinationen. In dieser Verfassung zertrümmerte er die Wohnung der Großmutter und bedrohte sie. S. gab damals an, dass er zum jetzigen Zeitpunkt erneut Stimmen höre. Auch bei seiner letzten Entlassung habe er Stimmen gehört. Das vierte Mal stationär aufgenommen wurde er im Oktober 1992. Er blieb ein halbes Jahr. Der Amtsarzt hatte ihn eingewiesen, weil er laut Attest das Mobiliar in der Wohnung seiner Mutter zertrümmert und Glasscheiben eingeschlagen hatte. Bei der Aufnahme waren die Hände des Patienten blutverschmiert, er hatte Blutkrusten im Gesicht und trug einen Pyjama, der ebenfalls blutbefleckt war. Zu dem Vorfall meinte er, der Heilige Geist habe ihn gelenkt, um eine Fensterscheibe einzuschlagen. Bei dieser Aussage lachte er und meinte, er sei nicht krank im Kopf, er sei nur ein Psychopath. In letzter Zeit habe er wenig geschlafen, er höre vermehrt Stimmen, welche unangenehm beschimpfend und drohend seien.
    Herbert S. wurde damals als „in einem stark verlangsamten Allgemeinzustand befindlich“ beschrieben. Er litt unter akustischen Halluzinationen, „Stimmen hätten Dritten befohlen, ihn wegzubringen und würden ihn stark ängstigen“. Auch auf dem Weg mit dem Bus auf die Baumgartner Höhe habe er gedacht, der Buschauffeur sei Jesus, dies glaube er noch immer, denn Gott habe sich in diesem Fahrer sichtbar gemacht. Im April 1996 wurde er wegen eines Selbstmordversuchs behandelt: S. war vor einen Autobus gesprungen und wurde dabei leicht verletzt. Die 13. stationäre Aufnahme im August 1996 wird wie folgt beschrieben: „Seit mehreren Tagen erscheint der Patient nicht mehr im PSD. Bei einem Hausbesuch heute bietet er ein katatones Zustandsbild, ist vollkommen inkohärent, paranoid agitiert und kaum ansprechbar. Er ist jedoch freiwillig bereit, sich stationär behandeln zu lassen.“ Es war wiederum der Amtsarzt, der ihn zu seinem 31. stationären Aufenthalt im April 1999 einwies: Laut polizeilicher Meldung wurde er in einem Stiegenhaus angetroffen, ein Küchenmesser in der Hand. Er nahm eine bedrohliche Haltung gegenüber dem einschreitenden
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