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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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Ähnlichkeiten mit Mordfällen.
    Ob aus einer Attacke eine Körperverletzung oder eine Tötung wird, hängt häufig von der affektiven Verfassung des Täters ab. Psychotische Menschen, die töten, sind zumeist deutlich gereizter, angespannter. Es ist also kein „kaltblütiger“ Mord, sondern aus der Sicht des Täters immer ein Akt der Notwehr oder ein wahnhaftes Affektdelikt. Geplante, kühl durchgeführte Delikte finden sich bei Schizophreniekranken für gewöhnlich nicht. Bei Körperverletzungen findet man eine vergleichsweise geringere affektive Spannung. Beispiel: Der Patient geht zum Nachbarn, von dem er sich bedroht fühlt, und versetzt ihm eine Ohrfeige. Er bringt ihn nicht um, er verletzt ihn nur. Die Gereiztheit war zu gering, der Täter hatte sich noch unter Kontrolle.
    Daneben gibt es eine zweite große Gruppe von schizophrenen Tätern, bei denen die Tat eher durch Alkohol oder ihre Persönlichkeit bedingt ist. Ein zum Tatzeitpunkt eventuell vorhandener Wahn ist nicht das entscheidende Motiv. Von solchen Tätern sind meist schon im Vorfeld häufig Körperverletzungen oder Raufereien bekannt. Sie leiden zwar unter einer Schizophrenie, im Vordergrund steht aber die dissoziale Persönlichkeit. Eventuell leistet die affektive Verflachung einen Beitrag zur Genese des kriminellen Verhaltens.

Der Fall Herbert S. – Wenn Stimmen bestimmen
    Im April des Jahres 2000 versuchte Herbert S., mittels eines zehn Zentimeter langen Messers mehrmals auf den Kopf seiner Mutter einzustechen, wobei diese laut medizinischem Gutachten Verletzungen leichten Grades davontrug (Stich- und Schnittwunden an Kopfhaut, beiden Oberarmen, linker Schulter und linker Hand, keine Verletzungen an Knochen und tieferliegenden Strukturen). Im Rahmen der Festnahme wurde von einem Beamten ein gezielter Schuss auf den Unterkörper des Täters abgegeben. In der richterlichen Vernehmung gibt Herbert S. an, die Engel hätten ihm gesagt, er solle auf die Mutter einstechen. Es seien viele Engel gewesen. Er sprach auch davon, Stimmen zu hören. Diese hätten ihm gesagt, er solle das Messer holen und seine Mutter „abmurksen“. Nora Frey – eine beliebte Moderatorin des ORF – sei seine Gegnerin. Er habe das gemacht, weil er Jesus helfen wollte, damit er seinen Bart zurückbekomme, und er habe dann geglaubt, dass die Mutter Nora Frey sei. Bei der Hauptverhandlung gab er schließlich an, Nora Frey habe Jesus den Bart abgeschnitten.
    S. wurde 1971 in Wien geboren. Seine Mutter, Hausfrau, und sein Vater, Elektromechaniker, ließen sich zwei Jahre nach seiner Geburt scheiden. Die Mutter heiratete ein zweites Mal. Bis zum 5. Lebensjahr blieb S. bei seiner Mutter und zog dann in den Haushalt des leiblichen Vaters, in dem er in den folgenden Jahren mit dessen zweiter Gattin und zwei Stiefschwestern wohnte. Die Erziehung durch Vater und Stiefmutter beschreibt S. als streng, er sei auch geschlagen worden. Er besuchte vier Klassen Volksschule und zwei Klassen Hauptschule, absolvierte zwei Klassen Realgymnasium und schloss den Polytechnischen Lehrgang ab. Danach zog er wieder zur Mutter – eine Entscheidung des Jugendamts. Er begann eine Lehre bei einer großen Firma, die er nach zwei Monaten beendete, weil er sich vor den Leuten in der Arbeit fürchtete, und zog für kurze Zeit wieder zum Vater, um bald abermals zur Mutter zu wechseln. Er besuchte die Waldorfschule, versuchte nach dreieinhalb Jahren zur Matura anzutreten. Er schaffte jedoch nur Mathematik und warf nach mehreren Anläufen das Handtuch. Danach arbeitete er zwei Monate im Commenius-Institut der anthroposophischen Gesellschaft als Hilfserzieher mit Behinderten. Diese Arbeit, so S., habe ihm sehr gut gefallen. Er habe jedoch aufgehört, da er auf Anordnung vor den Behinderten immer einen „Tagesspruch“ aufgesagt habe. An den genauen Wortlaut des Spruches könne er sich nicht erinnern. Er sei jedoch zu dem Schluss gekommen, dass dieser Spruch eine Lüge gewesen sei. Aufgrund seiner christlichen Erziehung und da er sich an die Gebote halte, habe er damit aufhören müssen, nachdem er den Spruch als Lüge entlarvt habe. Die Bedeutung dieser Episode bleibt trotz mehrerer später erfolgter Gespräche in ihrer Skurrilität ungeklärt.
    Es folgten zwei Monate Arbeitslosigkeit bis April 1991. Von Oktober 1990 bis April 1991 wohnte er bei seiner Großmutter mütterlicherseits, dann zog er nach Salzburg zur Großmutter väterlicherseits. Dort war er bei einer Verpackungsfirma angestellt, wurde aber
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