Vom Wahn zur Tat
Obwohl diese Entwicklung zuerst als drogenbedingt angesehen wird, sind bereits damals typische Auffälligkeiten vorhanden, die an eine Schizophrenie denken lassen. O. war damals jedenfalls noch HIV-negativ. Irgendwann später zog er sich eine HIV-Infektion, wahrscheinlich durch intravenösen Drogenkonsum, zu. In einem Gutachten heißt es: „Die Frage, ob der Drogenmissbrauch den Zustand des Patienten verursacht haben könnte, kann man nun eindeutig mit Nein beantworten. Gerhard O. ist seit dem Jahr 1996 durchgehend zumindest relativ drogenfrei, ohne dass das an seinem psychopathologischen Zustandsbild Wesentliches geändert hätte. Dies ist mit einer Drogenpsychose, die ja spätestens sechs Monate nach Drogenkarenz zumindest weitgehend ausheilen müsste, unvereinbar. Eine andere Frage bleibt, ob der Drogenmissbrauch symptomatisch im Rahmen der Vorfeldsymptome oder dem Frühstadium der Schizophrenie begonnen hat oder ob die Erkrankung tatsächlich durch den Drogenmissbrauch ausgelöst wurde. Dies lässt sich, wie bereits gesagt, nicht eindeutig beantworten.“
Die Erkrankung von Gerhard O. ist der Fall einer chronisch katatonen Schizophrenie. Die Katatonie ist hier eine Dauerverfassung ohne akute Episoden. Bei derartigen chronischen Verläufen findet sich der mit akuten, raptusartigen Erregungszuständen verbundene „katatone Overkill“ eher selten. O. bietet ritualisierte Bewegungsabläufe und wird von Automatismen beherrscht. Dazu kommt ein Meinhaftigkeitsverlust, das heißt, Gedanken oder Handlungen werden nicht als selbst verursacht, sondern als von außen gesteuert erlebt. über das eigentliche Deliktmotiv können nur Spekulationen angestellt werden. Er lebte in einer für Außenstehende unzugänglichen Welt. Während seines Aufenthalts in der Justizanstalt Göllersdorf waren aufgrund der massiven Denkstörungen nur wenige kurze Gespräche möglich. O. lebt nicht mehr. Er ist in der Justizanstalt Göllersdorf an den Folgen seiner Aids-Erkrankung verstorben.
Der Fall Manfred A. – Der Selbstmörder, der leben will
Manfred A. hatte im Juli 2003 Ausgang aus der Psychiatrischen Klinik, wo er im Rahmen des Maßnahmenvollzugs behandelt wurde. Er begab sich in das Haus seiner Eltern in Wien, um eine von ihm vor 22 Jahren erworbene Pistole zu holen. Er nahm die Waffe in die Anstalt mit, um sich dort das Leben zu nehmen. Ein Krankenpfleger erfuhr von einer Patientin, dass A. im Zuge des Ausgangs Drogen einschmuggeln dürfte. Der Pfleger meldete dies dem zuständigen Primarius, worauf dieser die Durchsuchung des Patienten bei seiner Rückkehr anordnete.
Als Manfred A. abends ins Klinikum zurückkehrte, wollte der Pfleger seine Taschen durchsuchen. A. lehnte dies ab, worauf ein Arzt hinzugezogen wurde. Manfred A. kam auch der Aufforderung dieses Arztes nicht nach. Hierauf holte der Pfleger zwei Kollegen zur Unterstützung. Als diese das Dienstzimmer betraten, zog der Patient plötzlich aus einer Plastiktasche die Pistole. Er repetierte und sagte: „Die ist echt.“ Nachdem es den anderen anwesenden Personen gelungen war, das Dienstzimmer zu verlassen, zwang A. den ersten Pfleger, die Türe von innen zu versperren. Dann richtete er die Pistole gegen den Kopf des Pflegers in einem Abstand von ca. 20 Zentimetern und drohte mehrmals, ihn zu erschießen. Dem Pfleger gelang es nach einigen Minuten, das Fenster zu öffnen und nach draußen zu entfliehen. A. konnte um vier Uhr morgens von Beamten des Einsatzkommandos überwältigt werden.
In einem Gutachten aus dem Jahr 2003 wird die gesamte Lage eindrücklich zusammengefasst: „Auf die Frage, ob ihm in dieser Situation bewusst gewesen sei, dass das Hantieren mit einer Waffe gefährlich wäre, dass, wenn man eine geladene Waffe auf andere Menschen richte, dies auch schwere Verletzungen oder den Tod anderer herbeiführen könne, wenn sich ein Schuss aus der Waffe löse, meint Herr A., die Waffe sei zu dem Zeitpunkt, als er sie auf die Pfleger gerichtet habe, gesichert gewesen. Sie habe einen kleinen Knopf, mit dem könne man die Sicherung ein- und ausschalten. Erst später, als er alleine war, habe er die Waffe wieder entsichert. Er habe die Pfleger lediglich erschrecken, verjagen wollen, er wollte Eindruck schinden, aber er wollte ihnen nichts tun. Weiters berichtet A., er habe die vier Pfleger, die gekommen seien, nicht näher gekannt, den einen schon. Von diesem habe er sich auch schlecht behandelt, ja sogar bedroht gefühlt. Der habe ihn immer so scharf angesprochen,
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