Vom Wahn zur Tat
wenn es um die Medikamenteneinnahme gegangen sei. Dieser Pfleger sei richtig bösartig zu ihm gewesen, deswegen habe er sich vielleicht auch vor ihm im Speziellen etwas gefürchtet in dieser Situation. Er habe jedoch keinerlei Rachegefühle gehabt oder Impulse, dass er ihm jetzt etwas heimzahlen würde. Auf die Fragen gibt Herr A. an, dass er sich die Waffe vor ca. 20 Jahren gekauft habe, damals zur Selbstverteidigung mit einer Waffenbesitzkarte. Er habe Angst gehabt. Es sei später gegen ihn ein Waffenverbot verhängt worden, die Behörden hätten aber darauf vergessen, ihm seine Waffe abzunehmen. Weiters berichtet der Patient, er habe einer Mitpatientin einige Tage vorher gesagt, er würde eine Waffe besitzen, er wolle sie in die Klinik mitbringen und sich damit das Leben nehmen. Diese Patientin sei es auch gewesen, die ihn gebeten habe, Kokain in die Anstalt mitzubringen. Nochmals darauf angesprochen, was in ihm vorgegangen sei, nachdem sein Opfer die Flucht ergriffen hatte und er alleine gewesen sei, meint er, er sei stundenlang im Dienstzimmer gesessen, habe sich die Pistole an den Schädel gehalten, auch in den Mund gesteckt, aber er habe nicht abdrücken können. Er habe sich sicherlich 100 Mal die Waffe an den Kopf gehalten, aber nicht den Mut gefunden, abzudrücken. Auf die Frage, wie es dann zu Ende gegangen wäre, meint Herr A., er habe gehört, wie die Cobra das Schloss aufgesperrt hätte, und er habe dann gleich die Waffe weggeworfen und sich ergeben. Seltsamerweise hätte er in dieser Situation Angst gehabt, erschossen zu werden. Offenbar hätte er doch irgendwie noch leben wollen, obwohl er zuerst, wie gesagt, so oft versucht hätte, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Dies sei sehr irrational, aber sei nun einmal so gewesen.“
In die Maßnahme war Manfred A. übrigens gekommen, weil er 1998 versucht hatte, seine Mutter durch Würgen mit den Händen zu töten. Wobei es nur deshalb beim Versuch geblieben war, weil ein Polizist ihn unter Einsatz seiner ganzen Körperkraft von der Mutter weggezerrt hatte. Da A. in zwei Verwaltungsstrafverfahren als Beschuldigter aufschien, begab sich der Polizist am 8. April zum Wohnhaus des Betroffenen. Die Mutter ließ ihn in die Wohnung, da er den Patienten zur Behörde vorladen wollte. Manfred A. sperrte sich zunächst in sein Zimmer ein, öffnete dann doch die Türe und stürzte sich – nach Aussagen des Inspektors – auf seine Mutter und konnte nur mit Gewalt davon abgehalten werden, sie zu erwürgen. Im Gutachten zu dieser Tat heißt es: „Manfred A. leidet unter einer schizophrenen Störung, am besten der paranoid-halluzinatorischen Form zuzuordnen. Zum Tatzeitpunkt bestand eine akut paranoid-schizophrene Symptomatik, gekennzeichnet neben der wahnhaften Erlebnisverzerrung durch ausgeprägte Depersonalisations- und Derealisationserlebnisse. Diese Störung hatte zur Tatzeit ein so schweres Ausmaß erreicht, dass es zu einem Zusammenbruch des Persönlichkeitsgefüges geführt hatte. Herr A. war somit krankheitsbedingt nicht in der Lage, das Unrecht seiner Tat einzusehen.“
Dieses Ausmaß an Gewalt ist erstaunlich. Leute, die A. kennen, beschreiben ihn eher als träge und zu den einfachsten Handlungen schwer zu motivieren. Dennoch: Das Würgen der Mutter wurde als versuchter Mord gewertet. Die Geiselnahme war dagegen eine eher absurde Situation, in der er zwar eine Waffe bei sich hatte, ansonsten aber die Leute zu überreden versuchte, sich als Geiseln zur Verfügung zu stellen.
Über seine psychische Verfassung heißt es in seiner Akte: „Beim Patienten besteht eine paranoide Schizophrenie, wobei er erstmals relativ spät (im Alter von 35 Jahren) im Rahmen einer depressiven Haftreaktion an einer psychiatrischen Einrichtung aufgenommen wurde. Bereits damals bestanden deutliche Somatisierungstendenzen, weswegen der Patient während der Haft eine autoaggressive Handlung verübt hatte, um zu vermeiden, in eine andere Justizanstalt verlegt zu werden. Er befürchtete, dort keine adäquate medizinische Versorgung erhalten zu können. In weiterer Folge wurde Herr A. insgesamt drei Mal, jeweils mit amtsärztlicher Überweisung, in Psychiatrien aufgenommen, bevor es zum ersten Anlassdelikt kam. Auch dabei standen neben paranoid psychotischen Symptomen erneut somatische Beschwerden im Vordergrund.“
Manfred A. berichtet, dass er zwar manchmal denke, gelenkt oder von einer fremden Macht beeinflusst zu werden. Zu den aggressiven Handlungen sei es aber nur wegen der
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