Vom Wahn zur Tat
gehabt hätte. Das Messer stamme jedenfalls von seiner Freundin „Berta M“. Ein Polizist habe ihn in die rechte Hand geschossen. Das sei in der Wohnung seiner Freundin geschehen, außer ihr und ihm sei niemand anwesend gewesen. Er habe auch niemand verletzt. Den Namen der Freundin gab er konsequent als „Berta M.“ an. Er wurde 1997 wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, begangen in einem nicht zurechnungsfähigen Zustand, verurteilt und kam als Maßnahmenpatient in die Justizanstalt Göllersdorf.
Gerhard O. ist der Zweitjüngste von drei Geschwistern. Alle seien, so die Akten, selbstständig, Probleme in der Familie habe es immer nur mit dem Patienten gegeben. Psychiatrische Erkrankungen sind mit Ausnahme des Patienten in der Familie nicht bekannt. Die Eltern des Patienten heirateten 1964. Die Mutter war ihr Leben lang Hausfrau und widmete sich der Erziehung der Kinder. Die Entwicklung O.s verlief vorerst normal. Er besuchte ein Jahr lang den Kindergarten, dann vier Klassen Volksschule, vier Klassen Hauptschule sowie den Polytechnischen Lehrgang. Er war ein guter Schüler, wiederholte keine Klasse. Es gab weder Probleme in der Familie noch mit Klassenkameraden oder Lehrern. Die Mutter beschreibt Gerhard als angenehmes tier- und naturliebendes Kind, er sei in der Hauptschule ein guter Schüler gewesen und habe sich besonders in Zeichnen hervorgetan.
Gerhard O. begann nach der Schule eine Wirkerlehre, die er nach zwei Jahren abbrach. Ab dem Alter von 16 Jahren wurde der Umgang mit ihm zunehmend schwieriger. Der Vater mutmaßt, dass sein Sohn ab dieser Zeit begonnen habe, Drogen zu nehmen. Er sei oft über Nacht unterwegs gewesen und nicht nach Hause gekommen. Ermahnende Gespräche hätten nicht den erwünschten Erfolg gehabt. O. absolvierte eine dreijährige Metzgerlehre, trat aber nicht zur Gesellenprüfung an. Nebenbei machte er den Führerschein, kaufte sich ein Motorrad und reiste häufig nach Amsterdam. Die Eltern vermuten, er habe sich dort Drogen beschafft. In der Arbeit kam es zunehmend zu Problemen, O. war zwar ein guter Arbeiter, fiel aber immer häufiger durch sein impulsives Verhalten auf.
Mit etwa 20 Jahren trat er in Salzburg seinen Wehrdienst an. Als er wieder einmal über das Wochenende fort war, wurde er von einer drogensüchtigen Frau von hinten niedergestochen. Er verblutete fast, wurde anschließend im Heeresspital behandelt und rüstete danach sofort ab. Im Anschluss daran, so der Vater, sei das Leben von Gerhard völlig entgleist. Schuld daran seien die Drogen gewesen, was vom Sohn abgestritten worden sei. O. habe sich kaum mehr zu Hause aufgehalten, sei immer wieder monatelang verschwunden. Die Familie habe nicht gewusst, wo er sich aufhalte. Es habe immer öfter Konflikte mit der Polizei gegeben, O. habe versucht, ein Moped bzw. einen LKW zu stehlen. Auch zu Hause sei er auffällig geworden, häufig mit Zigaretten im Bett eingeschlafen, er habe Löcher in die Matratze gebrannt. Die Eltern bauten ein Zimmer im Keller aus, in dem O. dann wohnte. 1990 wurde dieses Zimmer von einer Sozialarbeiterin beschrieben: „Das Haus sowie die Wohnung der Eltern machen einen gepflegten Eindruck, das Zimmer des Patienten jedoch spottet jeder Beschreibung. Ein kleines Fenster ist zugenagelt, es riecht nach Fäkalien und Erbrochenem, Gerhard O. ist in einem total verdreckten Zustand und fast nicht ansprechbar. Er lebt dort mit einem Hund, der seine Notdurft in diesem Zimmer verrichtet.“ Ab diesem Zeitpunkt war O. immer wieder wegen Eigentumsdelikten kurzzeitig in Haft. Er verwahrloste völlig, sodass der Vater ihn im Jahr 1991 mithilfe von Polizei und Amtsarzt in ein Krankenhaus einweisen ließ. Dort ging es ihm nach wenigen Tagen bereits besser, doch er verließ nach kurzem Aufenthalt das Krankenhaus, um sein unstetes Leben fortzusetzen. Ab und zu erhielt er von den Eltern etwas Geld, dann ging er nach Italien, Deutschland und in die Schweiz, wo er häufig aufgegriffen und ausgewiesen wurde. Das Strafregister wird letztendlich über 20 Verurteilungen aufweisen, vielfach Diebstähle. Der Vater bemühte sich, seinen Sohn in Heimen unterzubringen. O. ging zwar zunächst mit, verschwand aber nach kurzer Zeit wieder spurlos. Das letzte Mal sah die Familie Gerhard O. Weihnachten 1995, wobei dem Vater auffiel, dass sein Sohn Angst vor ihm hatte.
Bei Gerhard O. ist unzweifelhaft ein deutlicher Knick in seiner Biographie, etwa mit dem 16. Lebensjahr, erkennbar.
Weitere Kostenlose Bücher