Vom Wahn zur Tat
Schulter trug, zu entreißen. Als dies misslang, ließ Stefan M. von dieser Frau ab und begab sich zu einer älteren Frau, der er ebenfalls unter Anwendung von Gewalt die Handtasche zu entreißen versuchte. Auch dies gelang nicht, sodass er schließlich aufgab. Im November 1999 fragte M. abermals eine ihm entgegenkommende Frau um Geld. Als diese ablehnte, packte er sie an der linken Schulter und versuchte sie festzuhalten. Gleichzeitig griff er auch nach der Handtasche und zog daran, worauf sich die Frau losriss und die Flucht ergriff. Im Dezember 1999 trat Stefan M. in einem Supermarkt zu der auf einem Stuhl vor dem Kassatisch sitzenden Kassiererin, ergriff sie mit beiden Händen an ihrem linken Unterarm und forderte sie auf, ihm Geld zu geben. Die Frau begann jedoch sofort zu schreien, worauf ihr Bruder und ihre Schwester ihr zu Hilfe kamen. Sie rissen Stefan M. von ihrer Schwester weg und schoben ihn aus dem Geschäft.
Von allen drei Opfern wurde Anzeige erstattet. Anhand eines Lichtbildes, das beim ersten Raub angefertigt wurde, konnte M. identifiziert werden. Er war schon bei der ersten amtsärztlichen Untersuchung als nicht schuldfähig beschrieben und über den Polizeiarzt in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden. Da er, wäre er zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, wegen des Verbrechens des versuchten Raubes zu über einem Jahr Freiheitsentzug verurteilt worden wäre und da „nach seiner Person, seinem Zustand und nach Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde“, wurde M. gemäß § 21/1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Stefan M. wurde 1978 in Wien geboren. Die Eltern ließen sich scheiden, als Stefan noch ein kleines Kind war. Die Mutter hat aus einer scheinbar parallel bestehenden Partnerschaft noch zwei weitere Söhne. Stefan M. besuchte vier Klassen Volksschule, danach fünf Klassen Hauptschule, da er eine Klasse wiederholen musste. In der Schule hatte er aufgrund mangelhafter Lernerfolge diverse Probleme mit Schulkollegen und Lehrern. Er musste die Schule häufig wechseln, da er für die Lehrer nicht tragbar war. Er lief ständig davon und konnte nie ruhig sitzen. (Die Halbbrüder hingegen hatten keine vergleichbaren Auffälligkeiten.) Nach dem Abschluss der Hauptschule besuchte er den Polytechnischen Lehrgang. Dort hätten ihm, so M., einmal Mitschüler Rohypnol und Bier eingeflößt, sodass er zusammengebrochen sei und Schaum vor dem Mund gehabt habe. Er wurde daraufhin mit der Verdachtsdiagnose eines epileptischen Anfalls auf die Neurologie gebracht. Danach versuchte er zunächst ein Jahr lang in einem Gasthaus als Küchenhilfe zu arbeiten, um im Anschluss daran ein halbes Jahr lang eine Frisörlehre zu absolvieren. Sein damaliger Chef meint, er sei etwas schwierig und langsam gewesen, sodass das Arbeitsverhältnis in beidseitigem Einvernehmen gelöst wurde. Ein letzter Versuch in einem anderen Beruf scheiterte ebenfalls.
Der erste Hinweis auf eine psychische Veränderung bei Stefan M. stammt aus dem Jahr 1994. Er wurde damals erstmals psychiatrisch begutachtet, es fanden sich deutliche Verwahrlosungstendenzen. Zwei Jahre später wurde er erstmals in einer Psychiatrie stationär aufgenommen. Man stellte eine massive Persönlichkeitsveränderung mit Problemen der sexuellen Identität fest. Er äußerte den Wunsch, eine Geschlechtsumwandlung an sich vornehmen zu lassen. M. scheint bereits damals psychotische Erlebnisse gehabt zu haben, das Gutachten spricht von akustischen und optischen Sinnestäuschungen.
Einer der Halbbrüder berichtet, dass Stefan M. erst seit dem Polytechnischen Lehrgang zunehmend auffällig geworden sei. In dieser Zeit wurden erstmals Zuckungen mit dem Kopf, den Schultern sowie gestikulierende Bewegungen mit den Händen beschrieben. 17-jährig habe er bei der „Lebenshilfe“ gewohnt, es habe jedoch auch dort nicht funktioniert. Er habe sich nichts sagen lassen und getan, was er wollte, sobald er keine starke Hand verspürt habe. Gegen Schwächere sei er gewaltbereit gewesen. Nach Angaben des Halbbruders habe M. in dieser Zeit bereits regelmäßig homosexuelle Kontakte mit Männern gehabt. Mit zehn Jahren habe ihn ein Fremder angesprochen, mit dem er in die Wohnung gegangen sei. Dieser Mann habe ihn mit dem Versprechen, ihm Geld zu geben, dorthin gelockt, ihm Sexfilme gezeigt und ihn dann
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