Vom Wahn zur Tat
nicht geplant und geschah „aus dem Augenblick heraus“, wobei unklar bleibt, inwiefern sich die Brüder, die zu dieser Zeit in einer symbiotischen, massiv konfliktbehafteten Beziehung lebten, gegenseitig aufgeschaukelt hatten. Ernst W. konsumierte zunächst mit seinem Bruder mehrere Streifen Valium und gleichzeitig Bier. Dann sei ihm die Idee gekommen, eine Tankstelle anzuzünden, „einfach, um ein ordentliches Feuer zu sehen“. Dass es zum Brand kam, sei aber dann von einem Tankwart mit Löschsand verhindert worden. Eine „psychotische Motivation“ für die Tathandlung im Sinne eines wahnhaften Hintergrunds war zum Aufnahmezeitpunkt nicht zu explorieren, hält das Protokoll fest.
Befragt zu seinem Drogenkonsum meinte W., dass er etwa seit dem 14. Lebensjahr regelmäßig Drogen konsumiere, unter anderem Speed, Cannabis, Kokain, aber auch seit einigen Jahren Heroin. Seit dem 21. Lebensjahr ist eine chronische Virushepatitis C bekannt, vermutlich hat er sich beim Spritzen angesteckt. Vor allem im Zusammenhang mit Drogeneinnahmen sei es zu drei Suizidversuchen gekommen. Ernst W. erinnerte sich auch, früher einmal, ebenfalls nur im Zusammenhang mit dem Konsum von Drogen, an einem Verfolgungsgefühl und Ängsten, „umgebracht zu werden“, gelitten zu haben.
Alles zusammen führte zu einer skeptischen Einschätzung durch die behandelnden Ärzte: „Insgesamt ist die Prognose betreffend den weiteren Krankheitsverlauf als auch die Rückfallgefahr in ein neuerliches Delikt als äußerst schlecht einzuschätzen. Zudem besteht eine chronische latente Suizidgefahr, die sich in einer wenig beschützenden Umgebung verstärken könnte.“ Bezüglich der sozialen Kompetenzen heißt es in einem Gutachten: „Der Patient ist nur unter engmaschiger Betreuung in der Lage, sich selbst zu pflegen und für sich zu sorgen. Die Arbeitsfähigkeit ist nicht gegeben.“
Ernst W.s Leben startete bereits ungünstig: Er wuchs in schlechten Verhältnissen auf, von seinen kognitiven Fähigkeiten her befindet er sich am Rande der Norm. Als Person wirkt er steif und flach, hat eine Fistelstimme. Er zeigt inadäquate Affekte, so lächelt er zum Beispiel ohne erkennbaren Grund. Dabei ist er sehr rigide und hat ein starres Verhalten: jede Veränderung ist eine Katastrophe. Ernst W. wurde langsam rehabilitiert und lebt heute in Vorarlberg, wo er in einer geschützten Werkstätte arbeitet und betreut wird. Die Tat, die ihn nach Göllersdorf gebracht hat, weist den Charakter eines dummen Streiches auf. Das vereint Minderbegabte und hebephrene Schizophrene. Wir stehen vor einer Konstellation, die keineswegs eindeutig ist. Zwar war W. über lange Perioden und vermutlich auch zum Tatzeitpunkt psychotisch, das Delikt selbst ist jedoch das Resultat nicht psychotischer Antriebe, in diesem Fall es brennen sehen zu wollen. Die Verbindung zur schizophrenen Erkrankung ist ausschließlich über die Negativsymptomatik, d. h. über die Affektverflachung und eine damit einhergehende Störung der Impulskontrolle, herzustellen. Hier liegt mit Sicherheit eine rechtliche Grauzone vor. Rechtfertigt der postulierte Zusammenhang zwischen Delikt und Negativsymptomatik die Einweisung in den Maßnahmenvollzug? Reicht alleine die Diagnose einer Schizophrenie dazu aus? Wie auch immer man darüber denkt, für den Betroffenen war es vermutlich aufgrund seines hohen Betreuungsbedarfs die beste Lösung.
Der Fall Josef F. – Der Vergewaltiger
Josef F. wurde 2002 schuldig gesprochen, seinen Freund Hermann N. mit schwerer, gegen ihn gerichteten Gewalt, „unter anderem durch Fesseln, Versetzen von Schlägen und Knebeln, zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt zu haben, durch die das Opfer eine schwere Körperverletzung erlitt und längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt war“. Josef F., so das Gericht, habe hierdurch das Verbrechen der Vergewaltigung begangen. Eine Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren war die Folge, gleichzeitig wurde F. gemäß Gutachten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21/2 StGB eingewiesen. Dort erkannte man bald, dass das Delikt nicht so sehr Ausdruck einer Paraphilie, sondern primär psychotisch motiviert war. In der Folge wurde zur weiteren Behandlung eine Überstellung in die Justizanstalt Göllersdorf veranlasst.
Dort dokumentierte der soziale Dienst für ein hausinternes Prognosegutachten die Lebensgeschichte von Josef F. Er kam 1969 als eheliches
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