Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
über die alte Brennerpassstraße, eine Autoroute – wer macht denn so was!
Dann erzählt er ausführlich von seiner Zeit als Koch im Hotel Atlantik in Hamburg und hört auch nicht auf, als ich mir am Buffet Obst hole.
Inzwischen habe ich mich fast daran gewöhnt, es gehört wohl mit zum Frühstück in kleinen, überschaubaren Pensionen.
Um neun Uhr sind wir wieder auf der Piste. Es ist warm, der Himmel hochbewölkt mit lichten Streifen – optimales Wanderwetter also. Diesmal erwartet uns kein Wald und keine weite Feldmark, sondern Diedorf, der cleane Ort vor Augsburg, in dem wir gestern zu Abend gegessen haben. Auf den Tennisplätzen schicke Frauen mit weißen Stirnbändern und Schweißbändern um die Handgelenke, die Lippen geschminkt, makellos gebräunt. Manche imitieren beim Aufschlag das Stöhnen der Profis und schlagen beidhändig zurück. Andere bewegen sich so ungelenk, dass man selber innerlich aufstöhnt. Ja, ja – Mittwochmorgen! Die reichen Frauen treffen sich im Club, während die Männer das Geld heranschaffen und erst spät am Abend, wenn überhaupt, wieder heimkehren.
Der Ort ist mondän, ein am Wald gelegenes Refugium für die Reichen mit guter Verkehrsanbindung nach Augsburg. Langweilig ist er auch, satt und ein wenig selbstgefällig, nichts Authentisches, keine regionale Identität.
Danach, im Wald, wird’s etwas besser. Ein kleiner Bach begleitet uns und lenkt von den Fichten ab. Der Weg wird schmaler und führt durch ein flaches Tal. Die Einsamkeit ist mir lieber als die fade Geschäftigkeit in den Vororten der Ballungsgebiete. Meine Füße tragen mich wieder. Die Schmerzen und Probleme sind wieder mal auf wundersame Weise nahezu verschwunden, nur noch ein leichter Druck an der rechten Ferse ist übrig geblieben. Dieses Auf und Ab ist ebenso lästig wie unbegreiflich.
Nach zwei Stunden treten wir aus dem Fichteneinerlei ins Licht, nachdem wir am Ende einer endlosen Aneinanderreihung von Fischteichen gefolgt sind. Wie Soldaten waren die Fichten Reihe um Reihe ausgerichtet, standen so dicht beieinander, dass sie nicht einmal die Hand zum Gruß erheben konnten.
Roter Mohn auf dem vor uns liegenden Feld bringt etwas Farbe in den Tag, dahinter recken sich die Kirchtürme von Großaitingen gegen den dunkel dräuenden Himmel. Die traurige, flache Landschaft frisst sich in mein Gemüt, ich beginne die Gegend zu hassen. Es fängt an zu regnen.
Wir wandern auf der lärmenden Hauptstraße durch das Städtchen, suchen ein Lokal, das uns beköstigt, und haben Glück. Eine alte Frau, die aussieht wie die bärbeißige, inzwischen verstorbene Oma Rosi aus der Lindenstraße, weist uns im tiefsten bayerischen Dialekt den Weg. Sie ist die erste echte Bayerin, der wir begegnen.
Unter einem Baum an einem Tisch lassen wir uns nieder, niemand nimmt von uns Notiz. Wir sind allein und auch im Lokal ist es menschenleer.
„Hallo, hallo, ist hier jemand?“
Der Ruf verhallt, keiner antwortet. Wir stöbern die Bedienung in der Küche auf, und man ist bereit, uns eine Suppe zuzubereiten, die all unsere Erwartungen übertriff: eine sämige Kartoffelsuppe mit geschnetzeltem Leberkäse, so lecker, dass wir Nachschlag holen.
Das Wetter wird schlechter. In Anoraks laufen wir entlang der Wertach durch die weite Feldmark, auf einem von Laubbäumen gesäumten Weg. Das Flussbett hat man in ein Korsett gezwungen und begradigt. In einer von Böschungen begrenzten, wie mit dem Lineal gezogenen Trasse treibt träge das schlammige Wasser dahin. Steinschüttungen an den Flussrändern, die Auswaschungen verhindern sollen, haben die grünen Ufersäume verdrängt, und man meint, ein Totenbett trage den Fluss. Er hat all seine Kraft und Ausstrahlung verloren. Er ist krank und welk, wie auch schon der Wald in seiner Nähe. Immer wieder gibt es Staustufen mit Kraftwerken zur Stromgewinnung, an denen das Wasser einige Meter in die Tiefe stürzt, oder künstliche Seitenkanäle, die später wieder dem Fluss zugeführt werden, zu welchem Zweck auch immer. Das alles ist dermaßen hässlich und trostlos, dass man die Lust am Wandern verliert.
Manchmal können wir den Weg hunderte Meter im Voraus einsehen, und jeder Abschnitt hat das gleiche Profil.
Kilometer um Kilometer wandern wir den verstümmelten Fluss entlang. Der Regen nimmt zu und bedeckt mit seinem Schleier das verwundete Land. Wir streifen unsere Pelerinen über, ziehen die Kapuzen ins Gesicht und stapfen stumm nebeneinander gen Süden. Wind fährt unter die Ponchos und
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