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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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vorneweg die Kapelle mit einem Kreuzträger, dahinter die Fahnenträger und zum Schluss Hunderte von festlich gekleideten Menschen.
    Schon ist alles vorbei, und wir wandern wieder über Feld und Flur, noch eine Weile die Choräle der Kapelle im Ohr, bis auch sie verstummt. Ein lichter Wald hat uns aufgenommen, und ein Bach begleitet unseren Weg. Er fließt uns entgegen, über breite, stufenartige Terrassen. An dem kalkhaltigen Gestein wachsen Moose und Flechten, Farne und Kräuter. Später klärt uns eine Tafel auf: Wir befinden uns an den Sinterstufen im Lillachtal – ein vom Wasser des Baches durch Ablagerung von Kalk (Sinter) geschaffenes Terrassenwerk, entstanden in der letzten Eiszeit vor über 10.000 Jahren.
    Wenig später stehen wir an der Quelle der Lillach. Unter einer Kalkplatte sprudelt das Wasser hervor, bildet einen kleinen Teich und verzweigt sich dann in mehrere Arme, bis es sich vor den Terrassen in einem breiter werdenden Flussbett sammelt. Das Gluckern und Glucksen des Baches vermengt sich mit dem Rauschen der Blätter in den Wipfeln der majestätischen Bäume, und wenn man länger hinhört, dann klingt es wie Musik, wie ein nicht enden wollendes Lied, das der Wind und das Wasser gemeinsam singen, seit Urzeiten, jedes Jahr wieder, wenn der Frühling ins Land geht. Es ist wunderschön und unglaublich beruhigend.
    Am frühen Nachmittag erreichen wir den Rand der Fränkischen Alb. Ein Weg führt nun beständig an ihrem Trauf entlang und lässt herrliche Blicke in das circa 200 Meter unter uns sich erstreckende Nürnberger Becken zu – nach Nordosten begrenzt von den dunklen Höhenzügen der Fränkischen Schweiz. Schwere, weißgraue Wolken hängen über dem Land, durchschnitten von blauen Streifen, durch die die Strahlen der Sonne sich ihren Weg bahnen und Teile der offenen, weiten Mittelgebirgslandschaft in helles Licht tauchen.
    Erlangen taucht in der Ferne auf und etwas später, im Südwesten, der Fernsehturm von Nürnberg. Ich kann es gar nicht fassen, dass wir es bis hierher geschafft haben. Der Weg ist einsam. Und doch finden wir zur rechten Zeit, gegen Mittag, ein kleines Ausflugslokal mit einer überdachten Terrasse am Rande eines winzigen Ortes. Eine Gruppe von Wanderern sitzt dort fröhlich beisammen. Wir nehmen am Nebentisch Platz, und Martin quellen die Augen aus dem Kopf angesichts der Köstlichkeiten, die unseren Nachbarn serviert werden. Wir haben beide Hunger, aber ich bleibe meinem aus Erfahrung geborenen Vorsatz treu, mir nicht den Magen so vollzuhauen, dass ein Weiterkommen beschwerlich wird. Ich begnüge mich mit zwei verkohlten fränkischen Bratwürsten und etwas Kartoffelsalat. Ein leckeres Schwarzbier kann ich mir allerdings nicht verkneifen.
    Die Mahlzeit ist gesellig, da wir ständig mit unseren Tischnachbarn im Gespräch sind: über unsere Tour, über Franken und vor allem dessen kulinarische Besonderheiten. Fränkische Bratwürste sind immer verkohlt, werde ich aufgeklärt. So schmeckt es den Franken am besten, und auch das, was Martin da verdrückt – fettiges Schweinefleisch mit einer opulenten Kruste –, gehört zu den Spezialitäten des Landes. Der Gipfel aber ist eine Mahlzeit, die eine Frau am Nebentisch zu sich nimmt. In einer milchigen Suppe schwimmen bleiche, dicke Würste wie von Leichen abgeschnittene Pimmel. Ich kann gar nicht glauben, dass die Frau das essen mag. Es sieht einfach ekelerregend aus.
    „Probieren Sie doch mal“, sagt sie, als sie bemerkt, wie ich mein Gesicht verziehe, und reicht mir ein mit der Gabel aufgespießtes Stück Wurst.
    „Da können sie mir noch hundert Euro drum herum wickeln. Das kriege ich nie runter. Trotzdem vielen Dank“, entgegne ich und schnippele weiter an meinen verkohlten Bratwürsten herum.
    Die Dinger in der milchigen Soße heißen übrigens blaue oder saure Zipfel, und ich finde, das passt.
    Es ist kühl geworden. Der Himmel hat sich zugezogen. Ein frischer Wind weht vom Becken herauf. Schweigsam wandern wir durch die Landschaft. Mein Wanderbruder ist mit der Verdauung beschäftigt. Das kann ich gut hören, obwohl er einige Meter hinter mir geht.
    Der Weg wird ausgesetzter, die Kennzeichnung sparsamer. Ich muss immer wieder mein Navi bemühen. Irgendwann stehen wir rätselnd vor einer Abzweigung und haben die Orientierung verloren. Wir entscheiden uns für den leicht abschüssigen Pfad in eine Schonung hinein, weil die Himmelsrichtung stimmt. Zunächst geht es flott voran, doch dann verwildert der Weg zunehmend und

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