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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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hört plötzlich ganz auf. Man muss schon sehr viel Phantasie besitzen, um hier noch eine Führung zu erkennen. Irgendwie müssen wir den dahinterliegenden Wald erreichen. Aber es geht nur noch mühsam weiter. Die jungen Fichten ragen nun über unsere Köpfe und versperren die Sicht. Außerdem stehen sie immer dichter, so dass wir ständig mit den Zweigen kämpfen müssen. Brombeer rankt über den Boden und ist in dem hohen Gras nicht zu sehen, ebenso wenig wie die Baumstümpfe der vor Jahren abgeholzten Bäume. Martin sagt seit geraumer Zeit gar nichts mehr, und ich beginne zu fluchen. Wir stolpern, reißen uns die Waden auf und haben Angst vor Zecken; legen die Rucksäcke ab, sprühen uns ein und kehren schließlich um. Keuchend schlagen wir uns durch das Dickicht langsam den Hang wieder hinauf. Die Orientierung habe ich nun vollends verloren. Man kann ja auch nichts sehen. An den Händen klebt Harz, der Schweiß brennt in den Augen, überall juckt es mich. Meine Fresse, was ist das für ein beschissenes Herumirren.
    Völlig verwarzt gelangen wir schließlich nach über einer Stunde auf einen Weg, den wir jetzt einfach ablaufen, in der Hoffnung, auf einen Wegweiser zu treffen. Wie durch ein Wunder taucht dann aber auf meinem Navi das blaue Tourenband auf, und ich kann uns auf den Frankenweg zurückmanövrieren, Richtung Schnaittach, einem größeren Städtchen an der A9.
    Ach du lieber Gott, hab Erbarmen mit den deutschen Provinzstädtchen. Wie erbärmlich und piefig ist zum Teil ihr Erscheinungsbild: verlassene Geschäfte, geschlossene Lokale, heruntergekommene Hausfassaden. Ruhig ist es, aber nicht beschaulich, schon gar nicht idyllisch, eher schmucklos und zugeklappt. Links von uns ein kleiner, künstlicher See – mitten im Ort. Irgendwie ist er misslungen, so kahl, trüb und traurig, wie er daliegt, von niemandem beachtet. Dann doch plötzlich ein Häuschen mit Charakter, klein, alt und etwas schief, mit grünen Fensterrahmen, weißgetünchtem Mauerwerk zwischen den Fachwerkbalken und einem vorgeschobenen Giebel, der von Efeu überwuchert ist. Das hat was, obwohl das Häuschen so verloren dort zwischen all den beliebigen öden Bauten steht.
    Wir suchen eine Tanke, um Proviant und Wein für die Freilandübernachtung zu organisieren. Das ist gar nicht so einfach, wenn man nicht mit dem Auto unterwegs ist. Wohin sollen wir gehen? Martin fragt eine Frau, die gerade in ihr Auto steigen will.
    „Doch, es gibt hier eine Tankstelle“, antwortet sie. „Die ist aber ziemlich weit draußen. Ihr müsst die Straße dort runter!“, und weist mit dem ausgestrecktem Arm in die Richtung.
    Wir schauen uns an und zögern.
    „Ach, wisst ihr was, steigt ein, ich fahr’ euch eben hin.“
    Endlich wieder ein freundlicher Mensch. Da wollen wir uns Deutsche doch mal auf die Schultern klopfen, wohnt doch trotz des gewachsenen Misstrauens und Eigennutzes noch ein Stück Menschlichkeit in uns. Manchmal muss man es herauskitzeln, wie gestern bei unserem Jäger.
    Im Handumdrehen sind wir an der Tankstelle, müssen allerdings zu Fuß wieder zurück ins Zentrum und dann Richtung Osten aus der Stadt heraus. Steil geht’s bergan, 200 Meter den Rothenberg hinauf. So scharf mussten wir bisher noch nicht aufsteigen. Jesus, Maria und Josef, was kostet das Kraft. Ich keuche und kämpfe, meinem Wanderbruder geht es nicht anders. Zwischendurch müssen wir pausieren und den Puls runterfahren. Das ist echtes, hammerhartes Hardcore-Trekking und das ziemlich am Ende der heutigen Etappe. Dort oben erwartet uns die Burgruine Rothenberg, und die wollen wir unbedingt vor dem Schlafengehen noch mitnehmen.
    Der Blick zurück über Schnaittach und über die bewaldeten Höhen der Fränkischen Schweiz bis hin zu einem fernen Horizont ist überwältigend. Über uns und dem zu unseren Füßen liegenden Städtchen hat sich eine dunkle Wolkenwand geschoben, die über den Bergen hinter Schnaittach aufbricht. Abertausende Sonnenstrahlen ergießen sich dort ins Land, ein funkelnder Vorhang aus Licht und Glimmer, hinter dem alles von einer weichen, sanft leuchtenden Aura umhüllt ist.
    Wir laufen über eine mächtige Holzbrücke auf eine Mauer mit einem imposanten Tor zu. Es ist die Burgruine Rothenberg, die nur bis 18 Uhr besichtigt werden kann. Das Tor ist verrammelt, und in dem Wärterhäuschen vor der Burgruine sitzt auch niemand mehr, obwohl es erst kurz vor sechs ist. In dem Tor ist ein kleines Astloch. Ich halte das Objektiv meiner Kamera daran und kann

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