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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Kuppe aus, die dem Gesicht die Strenge nahm.
    Erst sprach sie sachlich und mit alltäglichen Worten. „Meine Eltern sind 1949 bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen; ich war gerade drei Jahre alt. Ich kann mich kaum noch an sie erinnern. Aufgewachsen bin ich bei einer Tante – na ja, es war eine Nenntante – meine Patin… Tante Elisabeth. Das war etwas besser als im Heim, aber auch nicht viel. Ihr Mann war bei Stalingrad gefallen; sie litt immer unter Depressionen. Als ich zwanzig war, ist sie vom Balkon gesprungen, aus dem vierten Stock – vor meinen Augen…“ Sie zupfte sich eine neue Zigarette aus der Packung, die vor uns auf dem Glastisch lag.
    Borkenhagen gab ihr Feuer. „Scheußlich“, sagte er. Es klang ehrlich.
    „Ja, sicher…“ Plötzlich versteinerte ihr Gesicht, sie sah um Jahre älter aus. „Ich sehe das immer wieder vor mir. Es ist wie ein Film. Da stehe ich, da steht sie; jetzt springt sie… Ich brauche immer eine Weile, um zu glauben, daß ich es bin.“ Sie zog ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen; sie sah aus, als quäle sie ein hoher, summender Ton.
    „Nedomanski!“ mahnte ich halblaut.
    Sie fuhr zusammen. „Wie?“
    Über das Haus hinweg flog ein Flugzeug. Ziemlich niedrig offenbar.
    „Immer dieser Flugzeuglärm!“ beschwerte sie sich, fuhr aber gleich lebhaft fort: „Ich möchte auch mal wieder fliegen. Vor zwei Jahren war ich in Kopenhagen… Ich begreife nicht, wie diese schweren Dinger überhaupt fliegen können. Ich habe lange darüber nachgedacht, was das ist – Luft… Die Luft lebt nicht, steht in den Büchern, und der Sauerstoff, der Wasserstoff, das sind alles tote Substanzen… Aber mir kommt es so vor, als wenn… Das sind ganz winzige Wesen, so klein, daß man sie nicht erkennen kann. Sie haben jedoch eine mächtige Kraft; sie können überall eindringen, ja, wohin sie nur wollen, durch die Poren jedes Menschen, das ist es… Ein Künstler sollte das mal darstellen.“ Sie lachte, und plötzlich entspannte sich ihr Gesicht. „Ja, also Nedomanski… Mäxchen, der ist auch nicht gern geflogen. Der Mensch gehört mit beiden Beinen auf die Erde, hat er immer gesagt… Wie ich ihn getroffen habe? Ich war Bodenstewardeß bei der BEA, ich habe Tickets verkauft… Ich war schon ein armes Würstchen damals. Alkohol, keine Nacht geschlafen, in den Bars gehockt, einen Haufen Männer – es ging bergab mit mir, das Ende war schon abzusehen. Da hat sich Nedomanski ein Ticket nach London gekauft – und dann hat er mich zum Essen eingeladen… Ja, so ist es dann gekommen. Er hat wieder einen Menschen aus mir gemacht.“ Sie trank ihr halbes Glas leer.
    „Haben Sie ihn geliebt?“
    „Geliebt…“ Sie zuckte die Achseln. „Manchmal schon, glaube ich. Manchmal war er gut für mich. Aber gut zu mir, das war er eigentlich nie.“
    „Keine Haßgefühle gegen ihn, weil er sich nicht scheiden lassen wollte? Weil er Sie so ganz und gar beherrscht hat?“
    „Haß? Mein Gott – wo leben Sie denn? Auf dem Mond? Liebe, Haß… Glauben Sie im Ernst, es geht im Leben so zu wie in Ihren Illustriertenromanen?“ Sie sah starr zur Decke. „Ich habe ihn gebraucht“, sagte sie langsam. „Und er hat mich gebraucht – das war alles. Das geht auch ohne Liebe und…“ Sie hielt inne. „Moment mal!“ Sie stand auf und ging in die Diele hinaus. „Es hat geklingelt“, sagte sie über die Schulter.
    „Scheiße!“ knurrte Borkenhagen. „Gerade als sie in Fahrt kam…“
    „Pst!“ machte ich.
    Draußen hörte man Stimmen. Es war ihr Nachbar. Sie hatte seinen Volkswagen mit ihrem Capri eingeklemmt und mußte nun nach unten gehen, um ihren Wagen ein Stück zurückzusetzen. Sie entschuldigte sich wortreich und ließ dann die Tür hinter sich ins Schloß fallen.
    Ohne ein Wort der Verabredung sprangen wir auf. Das war die Chance für uns, ihre Wohnung ein wenig unter die Lupe zu nehmen.
    Borkenhagen stürzte ins Schlafzimmer, um in ihrem Nachtschrank herumzuwühlen, während ich ins Nebenzimmer eilte und den Inhalt ihres Schreibtischs – Versandhaus-Empire – untersuchte… Zugegeben – fein war das sicher nicht. Aber haben Sie schon mal einen Journalisten gesehen, der fein ist und trotzdem erfolgreich für ein Massenblatt schreibt?
    Na also.
    Unter einem Stapel alter Briefe fand ich ein Oktavheft – ihr Tagebuch. Ich begann zu blättern… Ich erschrak.
    24. 3. – Ich leide wieder stärker unter Tagträumen. Vor allem, wenn ich Maschine schreibe. Heute habe ich die ganze

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