Von den Sternen gekuesst
wurde ganz warm ums Herz. Dies war die Seite meiner Schwester, die ich so sehr schätzte, dass ich ihr ungefragt nicht nur bis nach Paris, sondern sogar bis ans Ende der Welt gefolgt wäre. Neben ihren Partymädchen-, Ich-nehm-das-Leben-nicht-ernst- und manchmal glattweg verrückt machenden Allüren hatte sie nämlich noch diese Seite, die viele Menschen nie kennenlernten – bestimmt von ihrer Stärke, Güte und Loyalität.
»Na, wenn das kein guter Grund für Kampftraining ist, dann weiß ich’s auch nicht!«, sagte ich und schon war ihr Lächeln zurück.
»Meinst du wirklich, du kannst mir was entgegensetzen mit deinen Schwertkampfkünsten à la Kill Bill ?«, triezte sie.
»Dann verschon mich aber ein bisschen, okay?«, lachte ich und hob das Schwert.
Schlussendlich musste ich mir nicht einmal Mühe geben, mich am Abend von Georgia wegzuschleichen. Weil sie es nicht mehr ohne ihre Freunde aushielt und wusste, dass Mamie ihr nicht erlauben würde auszugehen, hatte sie alle zu uns in die Wohnung eingeladen. Gegen fünf brachte Arthur sie nach Hause und schon fünfundvierzig Minuten später erreichten er, Ambrose, Vincent und ich das Musée national du Moyen Âge.
»Perfekt abgepasst«, sagte ich mit einem Blick auf das Schild am Eingangstor. »Die schließen um Viertel vor sechs.«
Das Museum befand sich in einer massiven Abtei aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die fast so breit war wie der gesamte Block und neben den Ruinen einer gallisch-römischen Therme aus dem ersten Jahrhundert errichtet worden war, quasi dem Vorreiter der heutigen Wellnesstempel. Verfallene Mauern zeugten noch von ehemaligen dreistöckigen Gebäuden, die Decken und Zwischenböden waren bereits vor Jahrhunderten verschwunden. Hoch oben befanden sich noch gewaltige Bögen aus roten Ziegelsteinen im hellen Mauerwerk, die einen guten Eindruck davon vermittelten, wie luxuriös die Räumlichkeiten gewesen sein mussten, durch die einst römische Soldaten vom Heißbaderaum zum Kaltbaderaum und zur Sauna geschlendert waren.
In der diesigen Dunkelheit der frühen Abendstunden wirkte die Abtei wie ein Spukschloss und die Ruinen wie oberirdische Verliese. Plötzlich war ich sehr dankbar für meine bewaffnete Eskorte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, lächelte Ambrose und tätschelte den Griff des Schwerts, das er unterm Mantel trug. »Vin, siehst du hier irgendwo Numa in der Nähe?«, fragte er. Offenbar war er mit Vincents Antwort zufrieden, denn er entspannte sich ein wenig.
Du siehst nervös aus ,mon ange, sagte Vincent zu mir.
»Nervös? Ich?«, erwiderte ich. »Niemals.« Das war eine glatte Lüge. Ich stand kurz davor, eine Höhle betreten zu müssen, tief unter der Erde. Meine Klaustrophobie hatte ich Vincent noch nicht gestanden. Es hatte noch keinen Anlass dazu gegeben.
Der Marsch durch die Kanalisation war nicht weiter schlimm gewesen. Diese Gänge waren von Menschenhand direkt unterhalb der Straßenebene angelegt worden. Brans Familienarchiv war da sicher eine ganz andere Nummer – ich befürchtete, dass es eins meiner Kindheitstraumata wieder zum Leben erwecken und mich vor Schreck vollständig lähmen würde. Und das auch noch tief unter der Erde.
Als ich klein war, hatten wir mal einen Familienausflug zu den Ruby Falls in Tennessee gemacht, diesen unterirdischen Wasserfällen. Der Tourleiter hatte das Licht ausgeschaltet, um uns zu demonstrieren, wie dunkel es an einem Ort war, an den niemals Sonnenlicht drang. Ich verlor vollkommen die Nerven, und selbst als wir wieder draußen waren, brauchte meine Mutter sicher noch eine Stunde, um mich wieder zu beruhigen. Seither brach ich schon allein beim Gedanken an Höhlen in Schweiß aus. Doch das wollte ich Vincent gegenüber nicht zugeben. Ein bisschen Klaustrophobie spielte keine Rolle, wenn es um etwas viel Größeres ging. Wie zum Beispiel seine körperliche Existenz.
Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn und versuchte, einen ruhigen Eindruck zu erwecken.
»Der Heiler hat gesagt, der Eingang liegt im südwestlichen Teil der Ruine«, sagte Arthur und deutete durch das Gitter.
»Wie kommen wir da jetzt rein?«, fragte ich mit einem Blick auf den sicher drei Meter hohen, massiven Eisenzaun, der die Anlage schützte.
»Mach mal keine Welle, Zombie-Man ist zur Stelle«, scherzte Ambrose. Mit seinen großen Händen umfasste er zwei der Eisenstangen, spannte die Muskeln an, und versuchte, sie auseinanderzubiegen. Schon nach einem kurzen Moment ließ er sie jedoch wieder
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