Von den Sternen gekuesst
dass er schlafen muss, aber so habe ich wenigstens die Möglichkeit, meiner Liebsten einen Besuch abzustatten.
Ich lehnte mich gegen das Kopfende. »Meinst du, da ist was dran? Meinst du, du kannst wieder eine körperliche Form annehmen?«
Um ganz ehrlich zu sein, wenn diese Möglichkeit bestünde, hätten wir davon schon einmal gehört.
Ich nickte. Nach außen hin gab ich den Anschein, ihm zuzustimmen, innerlich wuchs meine Entschlossenheit nur, jedem noch so kleinen Hinweis nachzugehen, um das Gegenteil zu beweisen. Das würde nicht das Ende meiner Beziehung zu Vincent sein.
Du solltest jetzt versuchen zu schlafen , sagte Vincent.
Ich legte mich hin, zog die Bettdecke bis hoch zu den Ohren und schloss die Augen. »Erzähl mir eine Geschichte«, murmelte ich.
Eine Gutenachtgeschichte? , fragte Vincent amüsiert.
»Ja. Etwas, das mich ablenkt, damit ich mir keine Sorgen mache.«
Also gut , sagte er. Dann nehme ich die Geschichte, die meine Mutter mir oft erzählt hat, als ich noch ein kleiner Junge war. Sie hat sie zwar nie gleich erzählt, aber im Wesentlichen bekomme ich sie sicher noch zusammen.
»Wunderbar«, sagte ich und spürte schon, wie mir der Schlaf in die Glieder kroch. Der Tag war anstrengend gewesen und ich hatte keine Ahnung, was mich morgen erwarten würde.
Ein Ritter träumt von einer wunderschönen, blau gekleideten Frau, die sich schlafend in einem Boot befindet, das auf einem Fluss treibt. Eine Stimme sagt ihm, dass diese Dame wirklich existiert und seine wahre Liebe ist. Wenn er nur lange und ausgiebig genug nach ihr sucht, wird er sie finden. Doch die Stimme warnt ihn ausdrücklich: Wenn er die Herausforderung annimmt, wird er sich großen Gefahren aussetzen, die ihn vielleicht sogar das Leben kosten werden. Bereits am nächsten Morgen sattelt der Ritter sein Pferd und begibt sich auf die Suche nach ihr.
Während Vincents Geschichte Wort für Wort in meinem Kopf auftauchte, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Am Morgen weckte mich dieselbe Stimme, die mich in den Schlaf gelullt hatte.
Bonjour , mon amour.
»Mmm«, machte ich, rollte von der Seite auf den Rücken und versuchte, die Augen zu öffnen. »Warst du die ganze Zeit hier?«, fragte ich.
Nein, ich war zu Hause. Ich weiß, es ist noch früh, aber ich wollte dir schnell etwas ausrichten … Bran hat etwas gefunden.
Schon waren meine Augen offen und ich saß aufrecht im Bett. »Was? Was hat er gefunden?«
Eine Geschichte. Am besten gehst du zu ihm und hörst sie dir selbst an. Sie ist sehr alt, aber sie klingt glaubwürdig und gibt uns vielleicht ein paar Anhaltspunkte.
Während er sprach, kletterte ich aus dem Bett, stieg in eine Jeans und kämpfte mit einem leicht verknoteten Oberteil.
Du hast genug Zeit, dir frische Klamotten zu suchen, meine Liebe , hörte ich Vincents Worte.
»Nee, keine Zeit!«, stieß ich hervor, flitzte zu meiner Kommode, schnappte mir das Deo und rollte es flink in jeder Achselhöhle. »Nur für das absolut Nötigste«, sagte ich. »Außerdem ist dieses Oberteil sauber, es war nur nicht zusammengelegt.«
Verstehe , lachte Vincent.
Mamie war schon auf und trank Kaffee. »Dieser Heiler, Bran, hat etwas gefunden. Ich sollte mich auf den Weg machen.«
»In Ordnung, Katya«, sagte sie. Sie wirkte besorgt, folgte mir aber in den Flur, wo sie nach ihrem Mantel griff. »Ich bringe dich noch bis zur Haustür, damit ich sehen kann, ob du begleitet wirst.« Ich erwähnte nicht, dass Vincent bereits bei mir war. Das hätte ich erstens vermutlich umständlich erklären müssen und zweitens wäre Mamie von der Vorstellung eines unsichtbaren Vincents in meinem Zimmer sicher wenig begeistert gewesen.
Zwei Revenants, die ich bei der Silvesterfeier gesehen hatte, erschienen aus dem Nichts, als wir auf die Straße traten. Mamie küsste mich auf die Wange und sagte: »Dann mach’s mal gut. Antoine ist heute schon früh ins Geschäft aufgebrochen. Melde dich so schnell wie möglich mit deinen neuen Erkenntnissen bei ihm. Er möchte gerne helfen.« Sie versuchte, hoffnungsvoll auszusehen.
Gaspard erwartete mich bereits an der Tür zur Bibliothek. »Komm herein«, sagte er aufgeregt. »Vincent hat dich bereits angekündigt.« Er führte mich zu dem Tisch, an dem Jean-Baptiste mit Bran saß, der auf eine Passage in einem der Bücher deutete, die mit schwarzer Tinte in winzigen, krakeligen Buchstaben geschrieben war.
»Ach, da ist ja Kate«, sagte Bran. Jean-Baptiste stand auf und zog einen Stuhl für
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