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Von der Liebe verschlungen

Von der Liebe verschlungen

Titel: Von der Liebe verschlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
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hinaufführte, war einfach gewesen, doch die, die auf die Tanzfläche führte, war prächtig und gewunden. Jedes Jahr hatte ich zugesehen, wie die Paare diese Treppe herunterstolziert waren, zwar gelangweilt, aber zu gut erzogen, um zu eilen. Die Damen setzten ihr strahlendstes Lächeln auf, die Herren hielten den Rücken gerade und den Kopf hoch erhoben. Casper drückte kurz meine Hand und dann wurden wir wieder getrennt, einen Schritt nach dem anderen im Takt die Treppe hinab, die sich drehte und wendete, als sei sie selbst ein Tanz. Unten trafen die Treppen wieder zusammen, bei einer alten gemeißelten Statue von Aztarte, die vom Boden aufragte und glitzerte, als sei sie aus Mondstein. Casper und ich trafen wieder zusammen und gingen die letzten Schritte gemeinsam, und ich ließ meinen Rock wieder los und nahm seinen Arm, begierig, mit ihm verbunden zu sein, und froh, seine Stärke an meiner Seite zu fühlen.
    Er kannte den Ablauf der Dinge nicht, also führte ich ihn unauffällig in den hinteren Teil der Menge, um sicherzugehen, dass Alex mich nicht entdecken konnte. Die reichsten und ranghöchsten Paare befanden sich ganz vorn, und hinter ihnen die nächste Schicht Hoffnungsvoller, die auf der Jagd nach Positionen waren. Die meisten der Anwesenden im Hintergrund würden Ältere sein, Unruhestifter oder ausländische königliche Bastarde, die wussten, dass sie mehr Spaß hatten, wenn sie die örtliche Politik mieden. Hier gab es kein Gedränge, nur mildes Lächeln und Geduld und das gelegentliche Nippen an einem starken alkoholischen Getränk.
    Das Orchester, das unter den gewundenen Treppen verborgen war, begann wie in einem plötzlichen Rausch zu spielen, ähnlich wie Bludstuten, die eine Kutsche zogen. In galoppierendem Crescendo erklang »Aztarte lächelt über Blutvergießen«, unsere Nationalhymne. Die Anwesenden legten sich die Hand aufs Herz, und aller Augen richteten sich auf eine lange gerade Treppe auf der anderen Seite der Lichtung. Ein Glorienschein strahlenden Lichtes flammte auf, und oben auf der Treppe erschien ein Paar, umrandet von der Silhouette des Eispalastes. Einen Augenblick lang hielt das Paar in einer Kunstpause inne. Meine Mutter war immer diejenige gewesen, die unser Tempo vorgegeben hatte. Sie hatte immer ganz genau gewusst, wie lange sie stehen bleiben musste, oben auf der Treppe mit hoch erhobenem Kopf.
    Dieses Mal strahlten die Lichter in voller Pracht auf Ravenna.

37.
    S ie war alterslos, immer noch dieselbe wie bei jenem ersten Mal, als ich ihr auf dem Zuckerschneefest begegnet war. Dieselbe bronzefarbene Haut, dieselbe Adlernase, dasselbe volle schwarze Haar. Dieselbe wilde Grazie, wenn sie den Rücken nur ein klein wenig nach hinten durchbog, wie eine Kobra, die darauf wartet zuzuschlagen. Selbst von der am weitesten entfernten Stelle auf der Lichtung konnte ich ihr prachtvolles Kleid und den hauchdünnen Diamanten sehen, der in ihrer Maske funkelte.
    Doch was mich am meisten überraschte: Sie trug Schwarz. Schwarz galt als Farbe der Unterdrückten. In den Städten von Sangland wurden viele Bludleute gezwungen, Schwarz zu tragen, damit jeder sehen konnte, was sie waren. Als ob mein Volk den Wunsch hätte, sich zu verbergen! Doch ich hatte nie gehört, dass jemals irgendwer auf dem Ball des Zuckerschnees Schwarz getragen hätte. Immerhin war die Farbe genau das Gegenteil von Schnee.
    Direkt hinter ihr trat mein Bruder Alex vor, um ihren Arm zu nehmen. Er war stocksteif, stolz und wachsam. Sein Anzug war in Schwarz und Weiß gehalten, perfekt passend zu ihrem Kleid. Er war nur eine Winzigkeit größer als sie, und seine Augen leuchteten in dem deutlichen Rot, das für ihn normal und anderswo höchst fremdartig war. Langsam, mit Rücksicht auf Ravennas prächtige Röcke, schritten sie die Treppe hinab, und mir lief eine Gänsehaut über die Arme. Das Ritual hatte etwas zutiefst Verstörendes an sich, und wenn das Geflüster um uns herum irgendeinen Anhaltspunkt bot, dann fühlten die anderen Anwesenden es ebenfalls.
    Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis sie den Boden erreichten. Als Alex’ Stiefel auf den Steinboden trafen, fuhr ein heftiger Wind durch die Bäume. Ich schaute nach oben und sah, wie sich die grünen Zweige trauervoll hin und her bewegten und sich dem kalten weißen Mond in der Mitte entgegenreckten, der am Himmel hing, voll und rund, perfekt, still, unberührbar und beinahe so hell wie die Sonne. Der Wind brachte Kälte mit sich und den willkommenen und

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