Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
sie sich, klatschte in die Hände, als ob sie in Düsseldorf vor ihrer Schulklasse stünde, und legte einen Kosakentanz hin. Das löste Begeisterungsstürme aus. Als wären sie Kinder, wollten die Papuas mehr, immer mehr. Nachts schrieb ich beim Schein der Petroleumlampe ins Logtagebuch: Spaß haben ist schöner als Geld.
Nach mehr als sechs Monaten verließen wir Papua-Neuguinea. Mein Weltbild war wieder ein bisschen komplettiert worden, nachdem wir erfahren hatten, dass hier mittlerweile außer Schweinen auch Geld hoch geschätzt wurde. Es fungierte sozusagen als Ersatzschwein: Auf der höchsten Banknote, 20 Kina, war eine prächtige Sau abgebildet.
Zwischen Neuguinea und den Philippinen, unserem nächsten Sehnsuchtsort, lag ein ordentliches Stück See. Dafür planten wir drei Wochen Segelzeit ein, doch nach anfänglich gutem Wind trieben wir tagelang in einer Flaute. Spiegelglatte See, verschwommener, dunstiger Horizont, darüber ein gelber Vollmond. Es war unheimlich. Sogar Astrid, die normalerweise wirklich nichts gegen ruhige See hat, erschauderte: »Das erinnert mich an Conrads Roman Die Schattenlinie – du reißt und zerrst mit Ruder und Segel und kommst keine Meile voran.«
Endlich. Wind kam auf, aber genau von vorn. Wir kreuzten, segelten fast 100 Meilen, kamen unserem Ziel aber nur 20 Meilen näher. Ein Kreuzkurs ist eine Schinderei. Alle paar Stunden eine Wende: Segel auf den anderen Bug, Segelstellung trimmen, Pinne neu justieren. Gucken. Gucken, ob man vielleicht nicht dichter an den Wind gehen kann. Es wurde auf Dauer langweilig, die Etmale beflügelten keineswegs. Auch Kym hatte alsbald genug von Matchboxautos, Legosteinen, Knetgummi. Ich musste ihm Geschichten erzählen. Beispielsweise die:
»Wie war das mit Mami?«
»Also, das war so: Vor vielen Jahren segelte ich mit einem Boot allein um die Welt und kam am Felsen von Gibraltar vorbei. Da stand ein Mädchen mit langem blondem Haar und wollte mitgenommen werden …«
»Stimmt nicht«, kam es von Astrid entschieden aus der Koje.
Ich erzählte weiter über unsere Zeit in Gibraltar, als wir beide mit dem Dingi gekentert waren und dabei meine Uhr ertränkte und ich deswegen Amerika beinahe nicht gefunden hätte. Aber Kym erinnerte mich bald an eines:
»Papi, du hast die Dosen vergessen.«
»Ach ja, genau. Warum ich sie dann doch nicht mitgenommen habe auf meine Reise, war, weil ich die Dosen mit den leckeren Früchten allein essen wollte.«
Für ihn war damit die Geschichte gelaufen. Dass ich Astrid später wiedersah und mit ihr um die Welt segelte, interessierte ihn nicht. Wohl viele Male habe ich ihm dieselbe Geschichte erzählt.
Der 23. Tag auf See. Spüre in der Nacht, wie Wind und Seegang zunehmen. Ziehe Ölzeug über und reffe die Segel. Die Dünung aus Nord nimmt zu, obschon der Wind weiter aus West kommt – also von vorn. Der fallende Luftdruck macht mich kribbelig.
Der 24. Tag. Wind steht weiter um West. Dünung läuft gefährlich hoch aus Nord. Barometer: 1000 Millibar. Tendenz rasch fallend. Ich schraube die Fockbäume ab, zurre sie an Deck fest, verstaue sämtliches überflüssiges Tauwerk unter Deck. Bringe die Rettungsinsel in die Kajüte und lasche sie sorgfältig fest. An Deck bleibt nur noch die Sturmfock, die das Schiff manövrierfähig halten soll.
Warten. Abwarten. Nachmittags peitschten Regenböen übers Meer. Ich ahnte, was kommen würde. Hockte mich ins Cockpit und schlang mir zur Sicherheit ein Tau um den Leib. Es stürmte, und wir trieben. Die See kam von achtern, steuerbords. Die Luke war dicht, alle Ritzen hatten wir mit Tesaband zum Schutz gegen Nässe überklebt. Es konnte losgehen. Damit die See weiterhin mehr achterlich einkam, half ich an der Pinne mit Steuern aus.
Kym erschütterte wie üblich überhaupt nichts. Ich maß neun Beaufort. Hm. Doch ich sagte nichts, und auch Astrid schwieg. Sie hatte sich mit Kissen und Wolldecken in der Koje verkeilt. Es war schwül und stickig. In der geschlossenen Kajüte stand der Mief von durchgeschwitzter Bettwäsche. Ich quetschte mich durchs Luk wieder nach draußen. Der Sturm wuchs. Öfter und öfter stieg die hochgehende See an Deck und ins Cockpit. Ich dachte an meine Frau, die in der unangenehmen Lage war, nichts tun zu können. Zur Verständigung hatten wir Klopfzeichen vereinbart. Dreimal kurz hieß: Alles okay. Mehr als dreimal: Wie steht das Barometer?
Es stand tief.
Weiß schäumende Wellen brachen sich am Heck, das Deck wurde mit festem Wasser
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