Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
umfassen.
Der Sturm des Lebens
Wilfried Erdmann
Was ich wünschte, war Bewegung und nicht ein ruhiges Dahinfließen des Lebens. Es verlangte mich nach Aufregungen und Gefahren, nach Selbstaufopferung um eines Gefühls willen. In mir war ein Überschuss von Kraft, der in unserem stillen Leben keinen Raum zur Bestätigung fand.
Lev N. Tolstoj, Familienglück
Wie hast du das bloß gemacht? Diese Frage wurde mir schon oft gestellt. Meist bin ich ihr ausgewichen. Es ist eigentlich nicht mein Naturell, darüber öffentlich zu reflektieren. Es ist mir nicht angenehm, eigene Leistungen zu kommentieren, gar in den Vordergrund zu stellen.
Gleichwohl: Alle Segelinteressierten, die mir unterwegs gedanklich zur Seite standen, werden wissen wollen, wie hat er das gemacht? Allein gegen den Wind, gegen den Strom, gegen die antarktischen Stürme, gegen das Kap Hoorn und gegen den Berg an Zeit. Wie hat er das nur in den Griff bekommen? Wenn ich mich diesen Fragen im Folgenden widme, haben die Antworten vor allem eines gemeinsam: Sie waren nass. Seewasser, Schwitzwasser, Schweiß, Tränen.
Um zu bestehen, muss man freudenfähig und zugleich leidensfähig sein. Der Gedanke »Du bist auf einem ganz besonderen Kurs« hat mir in kritischen Situationen ungemein geholfen. Klingt pathetisch, war aber so. Mit »Allein gegen den Wind« wollte ich mein ganzes Selbst ausdrücken und das Unangemessene wagen. Klar, man muss schon etwas unvernünftig sein, um sich mit einem zehneinhalb Meter langen Boot monatelang im Südpolarmeer gegen Wind und Wellen zu stellen.
Sturm und steigender Meeresspiegel haben Tausende Palmen entwurzelt.
Wo soll ich anfangen, um von den Stürmen einer solchen Segelreise mit so viel Wasser zu berichten? Wo man fast selbst zu Wasser wird. Ohne Landgang. Ohne Menschen. Gesehen habe ich die berüchtigten Kaps – Kap Hoorn, Kap Leeuwin und Kap der Guten Hoffnung – entweder gar nicht oder in weiter Entfernung. Gesehen habe ich wenige Fische, zwei Haie, Wale, eine Schildkröte und – Vögel. Massenhaft Seevögel. Meist Albatrosse und artverwandte Sturmvögel. Die sind äußerst stille Begleiter. Sie geben keinen Pieps von sich.
Stille herrschte trotzdem selten. Wind und See pfiffen und schäumten um mein kleines Schiff. Schlugen so heftig zu, dass das Rigg durch die See pflügte. Trafen kathena nui mit einem abrupten Aufprall wie ein Medizinball mich als schwachen Schüler. Sodass auch meiner kathena fast die Luft wegblieb.
Noch jetzt, mit einem Abstand von über zehn Jahren an Land, fällt es mir schwer, pocht mein Herz schneller, wenn ich an unterwegs denke. Die Erinnerungen kommen, wenn ich in meinen Logtagebüchern blättere, quellen über wie dehydrierte Nahrung aus einer Tüte.
In einer ganz üblen Stimmungsphase befand ich mich, als ich mich Feuerland und dem Kap Hoorn näherte. Ich bekam regelrecht Panik. Stand sogar kurz vor dem Abbruch des Törns. Zweifel befielen mich: »Mein Schiff ist zu klein, um sich gegen die Sturmseen des Südpolarmeeres zu stellen.« Ohnehin hatte ich nur eine rudimentäre Vorstellung, wie meine Kreuzkurse dort bei Starkwind, bei Sturm aussehen sollten. In meinem Logtagebuch schildere ich die Situation so:
Samstag, 14. Okt. – 62. Tag. Lege heute einen »Ankertag« ein. Auf 3600 Meter Wassertiefe. Was soll das? Das heißt: Ich berge die Vorsegel, das Groß bekommt drei Reffs und wird an den Wind gestellt. Habe keine Lust, gegen einen Südwest 7 aufzukreuzen. Danach große Wäsche, großes Kämmen, frische Kleidung und ein leckeres Essen. Eine Kanne Tee tut mir gut. Fühle mich danach besser. Sitze auf dem Boden und genieße die relativ ruhigen Schiffsbewegungen. Paradoxerweise kommt mir währenddessen die Erkenntnis, dass diese Segelstellung in Zukunft eine Möglichkeit wäre, Stürme abzuwettern. Wir machen dann wahrscheinlich keine Fahrt voraus, verlieren aber auch nicht allzu viele Meilen.
Anderntags setzte ich meinen Kurs fort. Keineswegs überzeugt, das Richtige zu tun. Bücher mit schrecklichen Sturmerlebnissen, teils aus der Zeit der Windjammer, entmutigten mich, anstatt mich zu beflügeln. kathena nui hatte allerdings nur 5,5 Tonnen entgegenzustellen. Natürlich dachte ich täglich ans Kap. Warum sollte man Kap Hoorn nicht gegen den Wind runden? Die Rahsegler konnten nur 70 Grad am Wind segeln, bei Sturm 80 und weniger, und haben die Umrundung auch geschafft.
Diese Zerrissenheit setzte sich fort bis zum Erreichen der Le-Maire-Straße, einer Meerenge vor
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