Von Feuer und Nacht
da, mit wehendem Haar, und ihre Augen brannten fast so wie die Karlas. Es schimmerte, als sie vortrat, ohne auf die Wurmfetzen auf dem Eis zu achten.
Als sie Jess' Hand ergriff, fühlte er sich von zusätzlicher Kraft durchströmt. Ein seltsames Geräusch kam von den vereinten Wentals. Cesca und er bewegten sich synchron, gelenkt von den Energien in ihrem Innern. Jess fühlte, wie etwas Essenzielles aus ihm floss, etwas, von dessen Existenz er bis dahin gar nichts gewusst hatte. Die Wentals nutzten es für ihren Kampf. Karla Tamblyn befand sich im Innern eines trocknenden Sturms, der immer heftiger wurde. Sie hob beide Hände, wehrte sich mit Blitzen, Wellen aus Kälte und Geysiren aus Wasser. Sie schickte Zerstörung in alle Richtungen und zerschmetterte, was zerschmettert werden konnte.
Die vereinten Wentals in Jess und Cesca begannen damit, Karla die verdorbene Flüssigkeit zu entziehen. Auf ihrer wächsernen Haut glänzte Feuchtigkeit, die aus den Poren kam und dann vom Wind fortgerissen wurde.
Jess sah, was geschah, und er versuchte, die Wentals zurückzuhalten. Er wollte sie dazu bringen, seine Mutter zu retten, anstatt sie zu vernichten. Der Kampf gegen den verdorbenen Wental in einer Klikiss-Brüterin hatte einen ganzen Planeten auseinanderbrechen lassen, und der besessene ildiranische Septar hatte ebenso starke Verheerungen angerichtet wie eine ganze Kampf flotte.
Die Wentals mussten Karla hier überwältigen, selbst wenn es die Zerstörung von Plumas bedeutete.
Der weiße Körper von Jess' Mutter erbebte immer wieder, als die vereinten Wentals ihr mehr und mehr Wasser entrissen und reinigten. Jess stöhnte, als die elementaren Was serwesen ihr Werk fortsetzten. Er konnte sie nicht daran hindern. Karlas Gesichtsausdruck änderte sich. Ihre Züge wurden sanfter, menschlicher ... mütterlich. Ein Trick? »Jess - du weißt, was du zu tun hast.« Sie hatte aufgehört, Blitze gegen die Wände und Decke der großen Eishöhle zu schleudern, hatte auch ihre Angriffe auf ihn und Cesca eingestellt. Sie schien in sich selbst zurückzuweichen und den verdorbe- nen Wental zu blockieren.
Jess wusste, dass Absicht dahintersteckte. Er glaubte, tatsächlich etwas von seiner Mutter zu sehen. Mit den letzten Schatten ihrer Erinnerungen kämpfte sie gegen die destruktive Präsenz in ihr an. Karla begriff, dass ein schreckliches Chaos von ihr ausging - und sie wollte damit Schluss ma- chen. Ja, das war seine Mutter. Jess glaubte fest daran.
Aber die Wentals behaupteten, dass es unmöglich war. Jess wusste, was er sah, erkannte das kurze Aufleuchten von Menschlichkeit in Karlas Augen.
Wie konnten sich die Wentals irren? Und wenn sie sich bei dieser Sache irrten, wie viele andere Fehler hatten sie dann gemacht? Der plötzliche Zweifel in seinem Herzen schien so schädigend zu sein wie ein verdorbener Wental.
Und deshalb vertrieb er ihn. Jess hatte seine Entscheidung bereits getroffen. Er hatte sich mit den elementaren Wasserwesen verbündet und den Verlust der eigenen Menschlichkeit akzeptiert, um zusammen mit ihnen zu kämpfen. Er sah, welchen Schaden diese destruktive Lebensform anrichtete, und er wusste, was verdorbene Wentals in der Vergangenheit angestellt hatten. Er wusste, dass Karla aufgehalten werden musste. Hier und jetzt.
Ohne den Blick von seiner Mutter abzuwenden, hörte Jess damit auf, den Bemühungen des Wentals in seinem Innern Widerstand zu leisten. Er warf seine ganze Kraft in den Kampf und bediente sich auch der Energie, die er von Cesca bekommen konnte. Er fühlte die Stärke von Cescas menschlichem Herz und die überirdische Kraft in ihr.
Der nächste Schlag, der Karla traf, war mächtiger als alle anderen zuvor, und sie empfing ihn mit einem erleichterten Lächeln. Ihre Haut veränderte sich, wurde ledrig und löste sich teilweise auf. Das Gesicht mumifizierte. Der übernatürliche Sturm wurde noch heftiger, bis Karlas Körper Risse bekam und aussah wie eine zerbröckelnde Statue. Jess beobachtete, wie sich seine Mutter auflöste, wie sie zu einer Staubwolke wurde, vom Wind der Wentals erfasst und herumgewirbelt.
Schließlich hörte der Wental-Sturm auf, und es blieb nichts von Karla Tamblyn übrig, weder der verdorbene Wental noch die Frau, die sie einst gewesen war.
Im Hintergrund hörte Jess das Zischen von entweichendem Dampf, das Knacken von Eis und das Rauschen von Wasser, aber all diese Geräusche waren nichts im Vergleich mit dem Orkan, der den verdorbenen Wental besiegt hatte. Ohne
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