Von Flammen verzehrt
vor den Kopf gestoßen. Natürlich hatte Alessa recht. Sie konnte nicht erwarten, dass Julien für sie oder Chloé alles aufgab, wofür er bisher gelebt hatte. Und trotzdem tat es weh, zu wissen, dass sie ihm so wenig bedeutete.
„Es tut mir leid. Ich will dein Opfer nicht umsonst sein lassen, aber … aber sie ist meine Schwester, und …“
„Keine Sorge, Fay. Ich verurteile dich nicht. Wie du habe ich nur versucht, meine Familie zu schützen. Ich habe damals meine Entscheidung getroffen – und Julien trifft heute seine. Vielleicht solltest du zu ihm gehen und …“
Sie wirkte mit einem Mal sehr müde.
„… und versuchen, den Mann zu verstehen, der fürchten muss, den Glauben und das Vertrauen seiner Brüder zu verlieren. Denn ich sage dir eines, Fay: Keiner von ihnen sieht gerne ihre tausend Jahre alte Mission scheitern.“
Alessas Worte hallten in Fay nach, als sie zögernd die schmale Treppe auf die Dachterrasse hinaufstieg. Der kühle Stein unter ihren nackten Füßen machte ihr plötzlich bewusst, dass sie nur ein längeres Shirt zum Schlafen trug. Sie zögerte kurz, aber die Nacht war mild, und so ging sie weiter.
Auf dem Dach spannte sich eine Pergola aus Metall, die unter einem mächtigen Weinstock kaum auszumachen war. Dieser hatte jeden Zentimeter der Rankhilfe eingenommen und ein dichtes, aber luftiges Blätterdach gebildet.
Sie hörte Lamar, der ihr den Rücken zuwandte, sprechen. Cruz stand an der halbhohen Mauer, die die Terrasse umlief, und sah hinüber auf die Engelsburg, die in stiller nächtlicher Schönheit am anderen Ufer leuchtete. Die Lichter, die das Castel Sant’Angelo in Szene setzten, spiegelten sich im Tiber. Es war ein atemberaubender Ausblick, aber Fay hatte nur Augen für Julien. Er sah aus, als wäre er besiegt worden. Er lehnte an der Mauer, die ganze Kraft schien aus seinem Körper gewichen. Den Kopf gesenkt und in den Händen vergraben, lauschte er Lamars Worten.
Fay trat näher und bemerkte, dass dieser telefonierte.
„Ihr seid aber nicht hier!“, hörte sie ihn wütend in das Smartphone schimpfen. „Die Entscheidung ist getroffen! Wir haben immer befürchtet, dass dieser Tag kommen kann, also vergeudet keine Zeit, sondern befolgt Juliens Befehl!“
Er lauschte der Erwiderung, und Fay wagte es nicht, das Gespräch zu stören.
„Louis! Hör auf, mit mir darüber zu streiten! Du weißt, was du zu tun hast! … Louis! … Verflucht, Louis!“
Julien schüttelte den Kopf und nahm Lamar das Telefon aus der Hand. Sein Blick fiel auf Fay, und für einen kurzen Moment schien er überrascht. Seine Augen suchte ihre, als er herrisch die Stimme aus dem Handy übertönte.
„Du hast meinen Befehl gehört und solltest es besser nicht wagen, ihn zu hinterfragen, Louis. Ich erwarte Arjen und Said mit dem Rubin morgen in Rom, hast du das verstanden?“
Julien beendete das Gespräch und gab Lamar das Telefon zurück.
Keiner sagte etwas, aber die Stimmung zwischen den drei Männern war angespannt. Fay wünschte, Juliens Blick hielte sie nicht so gefangen, denn sie wäre am liebsten unbemerkt zurück in ihr Zimmer geschlichen.
Am Horizont glühte rot der erste Streifen Tageslicht, als Cruz sich umdrehte, gähnte und wortlos die Treppe hinab verschwand.
„Lamar ...“, hielt Julien seinen Freund auf. „... wenn wir hier fertig sind ... sollten wir schleunigst verschwinden. Ich will einen schnellen Rückzug. Auch Alessa kann nicht länger hier bleiben. Keiner von uns ist dann in Rom noch sicher.“
Lamar verstand. Er klopfte seinem Anführer auf die Schulter, ehe er Cruz zurück ins Haus folgte.
Plötzlich mit Julien allein, wusste Fay nicht, was sie sagen sollte. Die Stille zwischen ihnen war erdrückend, und die Distanz schien unüberwindbar. Er hatte seinen Männern also – entgegen seiner eigenen Überzeugung –befohlen, das Elixier nach Rom zu bringen, um es gegen ihre Schwester einzutauschen. Eigentlich müsste sie Erleichterung verspüren, Freude – aber sie fühlte sich, als hätte sie alles verloren. Julien schien durch sie hindurchzusehen, so leer war sein Blick, und Fay wünschte, er würde etwas sagen. Irgendetwas. Doch er schwieg.
Langsam ging sie zu ihm. Nicht ganz nah, denn seine Haltung war abweisend, aber nah genug, um seinen vertrauten Duft einzuatmen.
„Julien …“, flüsterte sie, ohne zu wissen, was sie sagen sollte. Sie wollte doch nur, dass er sie ansah. Den Kopf hob und sie … sah.
In ihrem ganzen bisherigen Leben hatte sie sich
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