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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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Elenor rief: „Dodo, komm mal her! Tante Hablieblieb möchte dich kennenlernen.“ Also ging ich zum Netzpfosten hinüber.
    Tante Hablieblieb erinnerte an die Statur einer griechischen Göttin. Ihre Haut hatte die Farbe von Kreide, ihre Augen waren blass-blau und die Nase dazwischen sah aus, als hätte der Bildhauer vergessen, ihr den letzten Schliff zu geben. Die Locken, die das längliche Gesicht umrahmten, waren so hell, dass sie beinah weiß wirkten. Das Einzige, was nicht so recht ins Bild passen wollte, war die pinkfarbene Handtasche, die über ihrer Schulter hing.
    „Hallo, Dodo“, begrüßte mich Tante Hablieblieb. Ihre warme Stimme stand im krassen Kontrast zu ihrem kühlen Äußeren. „Willkommen in Lichtwiese. Gefällt es dir hier bei uns?“
    „Und wie!“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.“
    Tante Hablieblieb nickte. Ein gutmütiges Lächeln huschte über ihre farblosen Lippen. „Wie hast du uns denn gefunden?“
    „Ich … ähm …“ In meinem Magen summte es plötzlich, als würde sich ein Stromgenerator aufladen. „Das war purer Zufall“, sagte ich schnell. „Da war so ein Bach, ein Tunnel und eine Tür – und dann war ich auf einmal hier. Ich bin einfach meiner inneren Stimme gefolgt.“
    Tante Hablieblieb schien die Antwort zu gefallen. „Gutgut“, sagte sie. „Und Elenor hat dich schon ein wenig herumgeführt.“
    Ich wusste nicht genau, ob es eine Frage war. Sicherheitshalber nickte ich. „Ist alles so schön bunt hier. Aber sagen Sie mal – wer hat das alles denn …“ Ich suchte nach dem richtigen Wort, fand es nicht und entschied mich schließlich für: „… gemacht?“
    „Da haben alle mitgeholfen“, sagte Tante Hablieblieb.
    „Und wie viele Jahre hat das gedauert?“ Ich hob die Arme und drehte den Kopf. „Ich meine, das alles hier zu bauen.“
    „Wie viele Jahre?“ Ein weiteres Mal bedachte Tante Hablieblieb mich mit einem gutmütigen Lächeln. „Einen Tag lang hat es gedauert.“
    „Nur einen Tag?“ Ich sah sie misstrauisch an. „Sie wollen mich doch veräppeln, oder?“
    „Nein, Dodo, ganz und gar nicht.“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Ich möchte dir etwas zeigen.“ Sie öffnete den Verschluss ihrer Handtasche und holte nach kurzer aber intensiver Suche einen rot-gelb gestreiften Gegenstand hervor.
    „Der Löffel!“, entfuhr es mir.
    Er sah tatsächlich aus wie Zahnpasta, nur waren die Streifen halt rot und gelb. Und es war ein Löffel und keine Paste.
    „Du kennst ihn“, sagte Tante Hablieblieb.
    Erneut war nicht erkennbar, ob es sich um eine Frage oder eine Feststellung handelte.
    „Ich hab davon gehört“, antwortete ich.
    „Mit seiner Hilfe wurde all das hier geschaffen“, erklärte Tante Hablieblieb. „Er hat die Kraft, alles zu verändern.“
    „Dieser Löffel?“, fragte ich und starrte auf denselbigen. Abgesehen von der Farbe sah er vollkommen gewöhnlich aus. „Wie … wie funktioniert das denn?“
    „Es ist ganz einfach“, sagte Tante Hablieblieb. „Wenn du dir etwas wünschst und dabei den Löffel ableckst, dann geht dein Wunsch in Erfüllung.“ Ich spürte Tante Habliebliebs Blick. „Möchtest du es ausprobieren?“
    Ich sah auf. „Wirklich?“
    „Aber überlege dir deinen Wunsch sorgfältig. Er geht sofort in Erfüllung.“
    „Das ist deine Chance, Dodo!“, raunte Strom-Tom kaum hörbar in meinem Magen. „Nimm den Löffel und wünsch uns einfach hier raus!“
    Er hatte recht: Es wäre so einfach, sich mit dem Löffel nach Hause zu wünschen. Allerdings wäre das so etwas wie Stehlen, und Stehlen war nicht richtig. Aber hatte nicht der große, schwere Mann in dem Ohrensessel gesagt, der Löffel sei ihm selbst gestohlen worden? War es in Ordnung, wenn man etwas Gestohlenes zurückholte? Es also quasi zurück-stahl? Ich war mir sehr unsicher und hätte gerne Omi dazu befragt, aber das ging ja leider nicht.
    „Trau dich ruhig“, ermutigte mich Elenor.
    „Nimm ihn doch schon mal in die Hand“, schlug Tante Hablieblieb vor.
    Keiner der beiden sah aus wie eine Diebin. Auf der anderen Seite kannte ich sie so gut wie gar nicht. Und der erste Eindruck kann leicht täuschen, sagte Omi schon immer. Noch während ich überlegte, steckte der Löffelstiel auf einmal zwischen meinen Fingern, und ich sagte: „Der ist aber schwer …“ Meine Stimme klang irgendwie fremd dabei.
    „Wünsch dir was Schönes“, sagte Tante Hablieblieb. „Das ist unser Willkommensgeschenk an

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