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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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verhaftet“, krächzte Frau Koslowski auf der anderen Seite des Zauns. „Das ganze Dorf.“
    „Sie auch?“
    „Jeden im Dorf!“, krakeelte Frau Koslowski. „Manche haben sie später wieder nach Hause gelassen. Aber die meisten hat danach niemand mehr gesehen.“
    „Was haben die Soldaten mit Ihnen gemacht?“
    „Fragen gestellt, das haben sie gemacht.“
    „Was waren das für Fragen?“, schaltete sich Agerian ein.
    „Woher soll ich das wissen?“ Frau Koslowski hustete und die Nasenspitze verschwand. „Ich bin eine alte Frau, ich kann mir ja nicht alles merken!“
    Agerian sah mich an. „Die Soldaten des Chefs sind hier.“
    Es war keine Frage. Trotzdem nickte ich. „Das hab ich … offen gesagt, hab ich daran gar nicht mehr gedacht.“
    „Wir können nicht bleiben“, sagte Agerian. „Wir sind hier nicht sicher.“
    „Seitdem sie die Fabrik stillgelegt haben, lässt sich nur noch selten einer von ihnen blicken“, sagte Frau Koslowski und bewies, dass ihre Ohren eigentlich noch ganz gut funktionierten. „Man sieht sowieso kaum noch jemanden auf der Straße. Liegt bestimmt am sauren Regen.“
    „Was für saurer Regen?“, fragte ich, doch da packte mich Agerian bereits am Arm und sagte: „Wir müssen jetzt los.“
    „Auf Wiedersehen, Frau Koslowski“, rief ich noch über den Zaun.
    „Das warten wir erst mal ab“, war das Letzte, was ich von ihr hörte.
    Wir gingen hinein. Zu meiner Überraschung funktionierte die Deckenleuchte noch. Das Wohnzimmer sah aus, als hätte man ein Fußball-Spiel nach drinnen verlegt, weil der Rasen unbespielbar gewesen war. Tisch und Sessel lagen auf dem Rücken, der Teppich verschwand beinahe vollständig unter getrocknetem Schlamm. Nur die überall verteilten Papierfetzen und die aufgeschlitzten Kissen und Polster passten nicht so recht ins Bild.
    „Sie haben etwas gesucht“, lieferte Agerian eine mögliche Erklärung und schob eine Schublade zurück in die Kommode – ein symbolischer Akt, von dem sich das allgemeine Chaos jedoch nicht beeindrucken ließ.
    Auf einmal wollte ich nur noch schlafen. Ich wollte mich auf das zerfetzte Sofa legen, mich zu einer kleinen Kugel zusammenrollen, die Augen schließen und erst dann aufstehen, wenn alles wieder beim Alten war.
    „Wir bringen das wieder in Ordnung“, sagte Strom-Tom, als könne er meine Gedanken lesen. Wahrscheinlich sonderte mein Magen irgendwas ab. „Wir haben jetzt den rot-gelb gestreiften Löffel. Wir brauchen nur etwas Zeit.“
    „Wir bringen alles wieder in Ordnung“, bestätigte ich, und es fühlte sich gut an.
    Die Flure befanden sich im selben Zustand wie das Wohnzimmer. Wir krochen unter der umgekippten Standuhr hindurch und betraten die Küche. Elenor saß auf dem einzigen Stuhl, der noch alle vier Beine hatte, und schaute sich interessiert um.
    „Ist gemütlich hier“, verkündete sie, die allgemeine Zerstörung ignorierend. „Wir sollten hierbleiben, bis wir uns wieder etwas wünschen können.“
    Ich glaubte, ein Knirschen zu hören, und drehte mich zu Agerian um. Er stand ganz still da. Nur sein Kiefermuskel sprang wie ein Flummi vor und zurück.
    „Ich mach uns erst mal einen Tee“, sagte ich. „Zur Entspannung.“
    Ich öffnete den Hängeschrank, in dem für gewöhnlich Omis Brennnessel-Tee stand. Er war leer. Ich begann, den Boden abzusuchen und fand recht schnell einen Teebeutel. Für den Wasserkocher brauchte ich länger.
    „Was ist das?“, fragte Elenor, als ich ihr die dampfende Tasse hinhielt.
    „Brennnessel-Tee.“
    „Ich möchte jetzt keinen Tee.“
    „Es hat dich auch keiner gefragt, ob du möchtest“, knurrte Agerian.
    „Bitte, trink“, sagte ich. „Bitte, Elenor, nur einen kleinen Schluck.“
    „Ich kann nicht. Ich bin allergisch gegen Brennnesseln.“
    Meine Schulter begann zu schmerzen. Ich stellte die Tasse vor Elenor auf den Tisch. „Nur einen kleinen Schluck. Tu es für mich.“
    Elenor sah hinaus auf die glimmende Straße. In der Ferne, weit über uns, fraßen sich die Flammen der riesigen Fabrikschornsteine in die Dunkelheit.
    Agerian stieß mich an und flüsterte: „Sie hat uns vergiftet!“
    Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte, und wandte mich wieder an Elenor. „Ich brauche einen Beweis. Ich muss sicher sein, dass du das Mädchen bist, das ich liebe.“
    Sie schaute mich an. Ihre Augen waren erstaunlich schnell getrocknet. „Wenn du dafür noch einen Beweis brauchst, tust du mir wirklich –“
    Agerian stieß mich beiseite und riss

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